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23 - Im Reiche des silbernen Löwen IV

23 - Im Reiche des silbernen Löwen IV

Titel: 23 - Im Reiche des silbernen Löwen IV Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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Vorhut seines Lichtheers an ihre Fersen und sandte uns, hoch über ihnen, den Odem seines Grußes zu. Dieser kraftvolle Atemstrom brach sich am Berg der Ruinen und wühlte dort die Nebel auseinander, um das Gemäuer, wenn auch nur vorübergehend, unseren Blicken preiszugeben. Da lagen die beiden Zelte. Das eine war von den Massaban umzingelt. Bei dem andern sahen wir niemand. Aber vorn, auf der Mauerkante, saß Ahriman Mirza neben der Khanum Gul, und hinter ihnen standen die Diener. Die Stelle, welche sie sich gewählt hatten, lag so weit zurück, daß es ihnen selbst auch ohne die Nebel nicht möglich gewesen wäre, unsere Aufstellung unten im Duar zu bemerken. Sie befanden sich also noch immer in dem Glauben, daß die Dschamikun in tiefem Schlaf lägen.
    Da wieherte bei den Schatten ein Pferd. Ein anderes antwortete – noch eines und noch eines. Das war in der Stille des Morgens weithin zu hören und für Ahriman ein Zeichen, daß seine Schatten angekommen seien. Er hatte sie schon des Nachts erwartet und war ungeduldig geworden. Warum den Duar erst leise und schleichend besetzen, wenn es nur einiger weniger Augenblicke bedurfte, ihn in schnellem Ansturm zu überrumpeln? Der Morgenhauch war zum Wind geworden, welcher die Dünste zur rascheren Bewegung zwang. Er begann, sie zu drängen, zu zerreißen, zu peitschen. Sie flatterten auseinander. Sie stoben nach allen Seiten. Sie flohen in alle Lüfte, um dort zerrissen zu werden. Der lichte Morgen war am See erschienen und räumte mit ihnen auf. Von den Ruinen verschwanden sie zuerst, weil der von der Felsenwand zurückkehrende Luftstrom dort doppelt wirkte. Da sahen wir Ahriman stehen. Er hatte sich hoch und gebieterisch aufgerichtet und eine Pistole in der Hand, um das verabredete Zeichen zu geben. Er schaute hinaus, über den See. Er sah nur Schatten, nichts als Schatten, welche nun alle herangekommen waren und in dichtgedrängter Menge das Tal besetzt hielten. Er sah nicht die Dschamikun auf den Höhen, weil sie sich hinter Felsen hinter Bäumen und Sträuchern verbargen. Und er sah, wie bereits erwähnt, auch nicht unsere kanonenstarrende Aufstellung unten an der vordersten Ruinenmauer. Darum gab er sein Signal; die Pistole krachte.
    Nun war er selbstverständlich überzeugt, daß die Schatten sofort von beiden Seiten in das Dorf dringen würden. Das geschah aber nicht, jedenfalls zu seinem größten Erstaunen. Ihre Spitzen waren nahe genug herangekommen, um zu sehen, was vor ihnen lag. Sie hatten beim Anblick der ihnen entgegengähnenden Geschütze ihre Bewegung eingestellt, und die Führer schienen sich zu beraten. Da schoß Ahriman den zweiten Lauf ab und winkte mit beiden Armen, indem er laute Befehle rief. Man sah seinen Bewegungen an, daß er zornig geworden war. Jedenfalls hatte er befohlen gehabt, sein Zeichen zu erwidern, denn die Pädärahn gaben nun auch ihre Schüsse ab, je einen auf beiden Seiten. Weiter vorzurücken aber unterließen sie, indem sie zurückwinkten und nach dem Dorf zeigten. Ihre Schüsse schienen ein vielstimmiges und nicht enden wollendes Echo erweckt zu haben, und aller Augen richteten sich nach oben, von wo es herunterklang. Da brannten die Warnungsfeuer zwar noch, aber blaß und fahl im Tageslichte. Die Wächter hatten sich auf dem sichern Felsen am Alabasterzelt zusammengezogen und sagten uns durch die Stimmen der mit hinaufgenommenen Gewehre, daß die Moräne zum Sturz auszuholen beginne. Und zu gleicher Zeit griff nun der Hauptmann in die Szene ein. Seine kommandierende Stimme erscholl. Auf seinen beiden Flanken donnerte je ein Geschütz, für dieses eine Mal nicht scharf geladen, und die acht rund um den See verteilten Kanonen fielen augenblicklich ein. Und nun sprangen auf allen Höhen die Dschamikun hinter ihren Verstecken hervor und ließen ihre Stimmen erschallen und ihre Gewehre ertönen. Das war wie ein einziger Schrei und wie ein einziger Krach, unter dem das ganze Tal und der See in ihm erbebte. Dann trat jene tiefe, den Atem anhaltende Stille ein, welche nur entscheidenden oder gar fürchterlichen Ereignissen voranzugehen pflegt.
    Kein Mensch, so weit man sah, schien sich bewegen zu können, mit Ausnahme von nur einem. Das war der Chodj-y-Dschuna. Er ging nach dem Landeplatz, stieg in das Boot und ruderte es so weit vom Land ab, daß er von Ahriman gesehen werden konnte. Dieser stand, noch immer hoch aufgerichtet, aber wie zu Stein erstarrt, auf seinem Platz. Begriff er das, was vor ihm lag? Oder konnte er

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