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23 - Im Reiche des silbernen Löwen IV

23 - Im Reiche des silbernen Löwen IV

Titel: 23 - Im Reiche des silbernen Löwen IV Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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überhaupt nichts mehr begreifen? Da erhob sich der brave Lehrer der Dschamikun von der Ruderbank und rief mit weithin hörbarer Stimme zu ihm hinauf:
    „Ahriman! Die Sterbestunde deines Reiches naht. Die Mauern unter dir beginnen schon zu wanken, und über dir will die Lawine stürzen; man gab von dort das Zeichen, daß sie kommt. Du willst dem Schah-in-Schah die Herrschaft stehlen und – – –“
    Ein schmetterndes Gelächter schnitt ihm die Rede ab. Aber nicht der Mirza lachte, der sich immer noch nicht regen zu können schien, sondern die Gul war aufgesprungen, um in dieser Weise zu zeigen, daß das Weib in den Augenblicken der Gefahr oft hoch über dem Mann stehe. Sie riß dem vollständig Ratlosen den Säbel aus der Scheide, trat bis ganz an den Rand der hohen Mauer vor und schrie:
    „Erzähle keine Fabeln, sondern schau dich nach der Wahrheit um! Die Lawine will nicht erst kommen, sondern sie ist schon da. Sie wird euch packen, sofort, sofort! Heran, ihr Leibscharen des neuen Schah-in-Schah, heran! Hier blitzt der Stahl; ich rufe euch zum Sieg! Yallah (Vorwärts, drauf!) – yallah – yallah!“
    Sie schwang den Säbel hoch empor, indem sie diesen Ruf ebenso hinausschmetterte, wie vorher das Gelächter und – – – war das tollkühne Absicht oder die Folge des unvorsichtigen, zu weiten Vortretens? Sprang sie, oder stürzte sie? Ließ sie die Klinge fallen, oder hielt sie sie fest? Man konnte das nicht unterscheiden, aber – – –
    Bei dem dritten Yallah flog sie von der Mauer herunter. Das sah genauso aus, als tue sie das, um durch diesen verwegenen Sprung in die Feinde herunter die zögernden Schatten zum Angriff zu begeistern. Und es wirkte!
    „Yallah, yallah!“ riefen die Pädärahn, indem sie vorwärts stürmten. „Yallah, yallah!“ schrien die ihnen nachdrängenden Schatten. „Yallah – yallah – yallah!“ brüllte es, weiterlaufend, rund um den ganzen See. Die beiden Kolonnen drängten nach vorn. Da winkte der Chodj-y-Dschuna vom Boot aus dem Hauptmann zu. Dieser gab das Zeichen. Es wurde zu beiden Seiten gesehen, und die Geschütze begannen, den Tod in die Feinde zu sprühen, nicht nur die zwölf im Duar, sondern auch die übrigen acht.
    Der Donner der Kanonen riß den Mirza aus seiner Erstarrung. Er fuhr sich mit beiden Händen nach dem Kopf und trat, so wie vorher die Khanum, ganz an den Rand der Mauer vor, um ihr nachzublicken. Aber unsere Augen wurden durch etwas anderes von ihm und von der Wirkung der Schüsse ab- und in die Höhe gezogen. Wir konnten vom Beit-y-Chodeh aus das ganze abschüssige Terrain am Alabasterzelt übersehen. Die Moräne hatte das lockere Geröll erreicht und schob es vor sich her. Sie wuchtete selbst die größten Blöcke aus, welche infolge ihrer Schwere ins Rollen kamen und der eigentlichen Lawine vorausstürzten. Das geschah gerade in der Pause nach dem ersten Krachen unserer Kanonen. Die Massaban schauten von der Kampfszene weg, hinauf nach der Bergkuppe. Sie wußten von dem Aschyk, daß ein Bergsturz erfolgen werde, und als sie nun Stein auf Stein herniederfallen sahen, ergriffen sie schleunigst die Flucht. Der Duar lag zu nahe am Berg; von ihm aus konnte der Eintritt der Katastrophe noch nicht bemerkt werden. Aber den Schatten draußen am Wasser mußte er unbedingt in die Augen fallen. Sie hielten im Vordrängen wieder inne. Sie schrien nicht mehr „yallah“, sondern ganz anders. Sie richteten ihre Blicke nicht nach vorn, obgleich da unsere Moräne sich am Felsen des Zeltes in zwei breite, wirbelnde Ströme geteilt hatte und nun herniederschoß. Noch ehe sie unten auftraf, erscholl von allen Punkten des Tales ein vieltausendstimmiger Schrei, dann – – –
    Das war kein Krach, den es gab, kein Schlag, kein Knattern und Prasseln, kein Dröhnen und Rasseln, kein Knirschen und Tosen, kein Brausen und Schnaufen, kein Zerbersten, Zerspringen und Zerplatzen, kein Knallen, kein Beben, kein Zittern, kein Rollen, und doch aber war es dieses alles, alles, alles, aber in so entsetzlicher und betäubender Weise vereint, daß es ganz unmöglich beschrieben werden kann. Die Wucht des Sturzes dieser schweren Massen erregte einen Luftdruck, der uns hier hüben wie ein unsichtbarer Schlag an die Köpfe traf, drüben aber alles, was da stand, zu Boden warf. Ahriman Mirza wurde von der Mauer hinweg und weit in die Luft hinausgeblasen. Wohin er fiel, das sahen wir nicht, weil aus der höllischen Verwirrung eine Staubwolke aufstieg, welche zunächst

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