23 - Im Reiche des silbernen Löwen IV
sein Gesicht mir abermals zukehrte. Der Ausdruck desselben war fast der eines milden Erstaunens. Dann fragte er: „Hältst du den Tod einer vollen, vielleicht bedeutenden oder sogar großen geistigen Persönlichkeit überhaupt für möglich?“
„Ja.“
„Woran soll sie sterben?“
„An einem plötzlichen, scheinbar wohlbegründeten Entschluß. Oder auch an einer selbstverschuldeten, langsamen Verzehrung. In beiden Fällen liegt Selbstmord vor, falls der Geist vorher gesund gewesen ist.“
„Effendi, weißt du, wie hart du sprichst?“
„Wir sprechen vom Geist. Darum mag der Geist zum Geiste reden. Der Geist aber ist hart, vielleicht härter als alles, was wir hart zu nennen pflegen. Du wolltest meine Ansicht über den Tod hören; diese ist nicht Herzenssache. Sobald du mein Herz fragst, wird es sprechen, und zwar so gern, so gern!“
Da faltete er die Hände, hob die Augen empor und sagte: „Sollte ich ein Selbstmörder sein?! Chodeh, ich bitte dich, verhüte es!“
„Chodeh ist allmächtig aber selbst seiner Allmacht ist es nicht möglich, etwas zu verhüten, was bereits geschehen ist.“
„So will ich mich prüfen. Ich will wissen, was ich getan habe und ob ich etwa anders hätte handeln können oder handeln sollen.“
„Hältst du dich für einen unparteiischen Richter über dich?“
„Nein. Aber du sollst mich richten.“
„Ich? Das ist unmöglich, denn ich liebe dich.“
„So wollen wir beide es vereinigt sein. Wir wollen einander beaufsichtigen, damit das Urteil ein gerechtes werde. Ich will anfangs der Dritte sein, der Zeuge, der dir und mir der vollen Wahrheit gemäß erzählt, wie es zugegangen ist, daß die Hand des Todes mir in mein Inneres griff. Ich sage dir aufrichtig daß ich dich hier heraufgeführt habe, um dir eine Liebe zu erweisen. Vielleicht bist du es, der sie mir erweist. Ich glaubte, dich nicht nur von dem einen, sondern auch noch von dem andern Tod erretten zu müssen. Nun werde ich zu fragen haben, ob nicht im Gegenteil dir die Aufgabe zufällt, mir zu zeigen, daß ein Toter einen noch Lebenden nicht vor dem Tod bewahren kann.“
Unser Gespräch wurde in diesem Augenblick unterbrochen. Wir hörten Stimmen, welche vom Vorplatze heraufklangen, und die schlürfenden Schritte langsam durch das Tor kommender Kamele. Zwei Männer sprachen miteinander. Der eine war Tifl, der andere ein Fremder. Dann kam der Peder dazu. Dieser schien einige Fragen auszusprechen, die wir nicht verstanden; dann hörten wir deutlich, daß er sagte:
„Steig ab, und seid willkommen! Ich werde deinen Wunsch unserm Ustad melden.“
Da beugte sich der letztere über die Brüstung vor und rief hinab: „Wer ist es, mit dem du sprichst, Peder?“
„Agha Sibil und sein Enkelkind aus Isfahan“, antwortete der Gefragte herauf. „Er ist den Bluträchern begegnet und bringt uns eine wichtige Kunde.“
„Er sei unser Gast. Ich komme sogleich hinab.“
Hierauf entschuldigte er sich in einigen Worten bei mir, daß er sich für kurze Zeit entfernen müsse, und wollte gehen.
„Erlaube nur einen Augenblick“, sagte ich. „Wer ist der Angekommene?“
„Ein Kaufmann aus Isfahan, welcher von dort aus einen bedeutenden Handel nach dem Innern des Landes treibt. Er versorgt viele der freien Stämme mit allem, was sie brauchen, und ist der Hauptabnehmer auch unserer Erzeugnisse. Seine Leute sind fast immerfort mit Waren unterwegs. Zur Abrechnung aber pflegt er selbst zu kommen.“
Als er mir diese Auskunft erteilt hatte, verließ er mich. Er hatte angenommen, daß meine Erkundigung nur deshalb ausgesprochen worden sei, weil es sich um eine Nachricht von dem Multasim handelte. Ich hatte aber auch noch einen zweiten Grund. Nämlich mein Wirt in Bagdad, der nach Halefs Ausdruck ‚früher Bimbaschi gewesene und dann Mir Alai gewordene‘ Offizier Dozorca, hatte mir, wie man sich erinnern wird, die Namen seiner Familienmitglieder genannt und dabei gesagt, daß sein Schwiegervater Mirza Sibil oder auch Agha Sibil heiße und ein persischer Handelsmann gewesen sei. Nun war ein Kaufmann dieses Namens aus Isfahan hier angekommen. Da mußte ich natürlich sofort an die vermeintlichen Toten denken, welche mein armer Wirt so lange Zeit betrauert hatte. Es lag mir fern, gleich etwas Gewisses anzunehmen; aber dieser Agha Sibil hatte einen Enkel mit, nicht etwa einen Sohn, und dieser Umstand machte den Gedanken in mir rege, daß sich hier in diesem wunderbaren ‚hohen Haus‘ gar wohl auch noch eine dritte Art von
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