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23 - Im Reiche des silbernen Löwen IV

23 - Im Reiche des silbernen Löwen IV

Titel: 23 - Im Reiche des silbernen Löwen IV Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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Stelle! Ich gebe dir mein Wort: Kein Schatten ist es wert, und wenn es selbst der allergrößte wäre, daß man um seinetwillen auch nur ein einzig Mal den Kopf nach hinten wendet!“
    „Nach hinten wendet!“ wiederholte er. „Nach hinten! In die Vergangenheiten! Und grad dir, dir, der du es nicht einmal der Mühe für wert hältst, auch nur den Kopf zu wenden, dir wollte ich jetzt alle, alle meine Schatten bringen! Komm heraus! Ich will dir zeigen, wo sie stecken! Ich sehe es dir an: du ahnest, was ich will. Du bist glücklich darüber. Dein Auge leuchtet! Du hast von einem Sieg gesprochen, den ich über dich und mich errungen habe. Jetzt aber ist dir ein noch viel, viel größerer gelungen: der Sieg über die, denen ich einst unterlag über sie alle, alle, alle! Ich bitte dich noch einmal: Komm heraus!“
    Er nahm die Lampe und führte mich hinaus in seine Bücherei. Dort stellte er sie auf den Tisch.
    „Hier wollte ich dir erzählen, wohl stunden-, stundenlang“, sagte er. „Vielleicht wäre ich am Morgen noch nicht zu Ende damit gewesen. Nun aber wird es kurz gemacht, so kurz, wie diese Schatten es verdienen!“
    Er deutete auf eine Reihe von Büchern, welche ganz gleich eingebunden waren, und sprach weiter:
    „Hier steht mein Geist, in Bände wohlzerspalten und richtig numeriert, wie das so Sitte bei den Menschen ist. Schau du hinein, und sage mir sodann, ob diese Bücher wohl auch eine Seele haben!“
    Ich griff hin, um eines vom Gestell zu nehmen. Da bat er:
    „Nicht jetzt! Du hast ja dazu Zeit, wenn ich verreist bin und dich niemand stört. Ich habe dir noch Weiteres zu zeigen. Ich wollte dir erzählen und erklären, zu welchem Zweck ich diese Werke schrieb. Ich unterlasse es, weil ich jetzt anders denke als noch vor einer Stunde. Du wirst sie lesen. Das heißt bei dir genau so viel, als ob ich sagte: du wirst sie und auch mich verstehen und begreifen. Sie sind Skizzen, Vorarbeiten, fließende Etüden, um mich und meine Leser einzuüben. Auf was sie vorbereiten sollten, darüber schweige ich. Man sagt das durch die Tat! Glaubst du, daß es Menschen gibt, welche so unerfahren sind, daß sie die flüchtigen Übungsskizzen eines Malers für vollbeendete, fertige Werke halten können? Nein? Nicht? Unmöglich? So scheine ich ein Künstler allerersten Ranges zu sein, denn es hat keinen einzigen Kritiker gegeben, welcher die meinigen als leicht bewegliche Schwalben erkannte, die ‚meinem Freund, dem Frühling‘ voranzufliegen hatten, wie ein bekannter Dichter sagt.“
    „Ein Künstler allerersten Ranges!“ lächelte ich. „Wozu denn hier die Ironie, die gänzlich überflüssig ist? Man hat das Zwitschern deiner Schwalben nicht verstanden, weil man noch in dem Eis des Winters steckte und weil sie nicht nach jenen Noten sangen, die auf fünf parallelen Linien stehen! Das konnte dich verbittern?“
    Er sah mich an. Erst erstaunt, dann nachdenklich; endlich lächelte er auch.
    „Wenn ich doch auch das heitere Gold besäße, das jetzt im Licht deines Auges liegt!“ rief er aus. Dann fügte er, nach den Wänden deutend, hinzu: „Schau hier die Briefe! Große Kisten voll! So schrieb man mir! Es war nur Liebe drin! Doch hier die Kästen mit den Zeitungsblättern, sie sind des Hasses voll, der mich vernichten sollte. Ich bin ihm gewichen, diesem Haß. Er wurde mir zum Ekel! Aber ich habe ihn gekennzeichnet! Ich habe seine Gründe nachgewiesen! Ich habe mich gewehrt, gewehrt, gewehrt!“
    „Mit welchem Erfolg?“ fragte ich.
    „Ich mußte gehen, doch, doch und doch! Mein letztes Wort an die, denen ich weichen mußte, war folgendes.“
    Er trat zu einem der Kästen, nahm die obenauf liegende Zeitung heraus, faltete sie auseinander und las:
    „Ich bin ein Mensch. Ihr wollt das nicht begreifen,
Weil ihr wohl schon ganz übermenschlich seid.
Wenn solche Götter mich zum Richtplatz schleifen,
So trag ich stumm mein Armesünderkleid.
    Ich steig getrost auf meinen Scheiterhaufen,
Den ihr mir bautet mit selbsteigner Hand,
Und laß mich von dem Flammengeiste taufen,
Für den ihr schon so manchen Leib verbrannt.
    Doch wenn ihr mir nicht folgt, wohin ich gehe,
Hab ich mit eurer Gottheit nichts zu tun,
Denn während ich im Fegefeuer stehe,
Seh ich euch stolz auf meinem Lorbeer ruhn.
    Ich lasse gern die Flammen um mich schlagen,
Denn mein Metall wird nur im Feuer rein,
Doch meinen Henkern habe ich zu sagen:
Ich möchte nicht an eurer Stelle sein!“
    Hierauf legte er die Zeitung wieder zusammen und an ihre Stelle

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