23 - Im Reiche des silbernen Löwen IV
Dieser stieg in das Erdgeschoß hinab. Der Ustad aber nahm eines der beiden Lichter, um mit mir nach oben zu gehen.
Als wir aus seiner Stube traten und die Tür der Rumpelkammer vor uns hatten, machte er sie zu meiner Verwunderung auf und ging hinein.
„Komm, Effendi!“ sagte er. „Tritt näher!“
„Warum?“ fragte ich.
„Du hast diese Sachen mir geschenkt; aber du weißt gar wohl: Was mein ist, ist auch dein! Ich hatte vielleicht kein Recht dazu, doch folgte ich der Regung dich zu prüfen. Du hast bestanden! Besser, viel besser, als ich erwarten konnte! Indem du mir diese Dinge alle schenktest, hast du etwas abgelegt. Was es ist, das überlege dir! Und indem ich, so bald und so oft du willst, sie dir alle wieder zur Verfügung stelle, tue ich etwas, was dich unendlich freuen muß. Was es ist, überlege dir auch das! Kamst du zu mir aus einem Land, auf dem es keine festen Wege gibt? Willst du dein Ziel von hier nur noch im Flug erreichen? Ich weiß, dir ist die Angst vollständig unbekannt. Du fühlst dich an der Hand, die keinen je verläßt, der sich ihr anvertraut. Doch hebe deinen Fuß nicht von dem sicheren Boden! Noch bist du nicht daheim! Kannst Waffen nicht entbehren! Nimm diese Warnung an! Nachdem ich dich geprüft, hab ich das Recht erworben und auch die Pflicht dazu, in diesem ernsten Ton mit dir zu reden!“
Er hob die Hand und drohte mir in liebevoller Weise mit dem Finger. Da kam es wie ein plötzliches Glück über mich, aber nicht wie ein unverstandenes, sondern wie eins, welches klar und deutlich vor einem steht und voll begriffen wird. Ich nahm ihn bei der erhobenen Hand, zog ihn heraus, machte die Tür zu und sagte:
„Komm hervor aus dieser unserer Kammer und schnell herauf zu mir! Ich muß dir etwas sagen!“
„Was?“ fragte er.
„Ein Geständnis. Komm nur, komm! Ich freue mich so sehr!“
„Ein Geständnis? Und doch Freude?“
„Ja! Es ist ein Sieg ein innerlicher Sieg den du soeben über dich und mich, über uns beide also, errungen hast!“
Er folgte mir so schnell, wie ich ihm voranstieg. Oben bei mir angekommen, nahm ich ihm das Licht aus der Hand und brannte zunächst die Lampe wieder an, welche er der Perser wegen hatte auslöschen müssen. Als dies geschehen war, bat ich ihn, sich aufrecht vor mich hinzustellen. Ich nahm ihn mit frohem Blick von oben bis unten in die Augen und sagte dann:
„Es ist mir mit dir grad so ergangen, wie es so manchem Menschenkind mit seinem Geist ergeht. Es kennt ihn nicht, bis ihn der Feind ihm zeigt. Ich wußte nichts von dir, bis mich die Massaban auf jene Spuren führten, an denen ich zum erstenmal den Namen Ustad hörte. Man sprach von dir als dem ‚Geheimnisvollen‘, von dem man ja ‚nichts Schlechtes‘ sagen dürfe. Sie schienen dich nicht bloß zu achten, sondern auch zu fürchten, und dennoch hegten sie nur Feindschaft gegen dich, weil sie als ‚Unglückselige‘ dich ja doch hassen mußten. Dann traf ich den Peder, der mir nicht trauen wollte. Er nahm die Flucht vor mir, doch holte ich auf meinem Pferd das deinige schnell ein. Es war fast wie bei jenem Morgenritt im Märchen Danyseh, wo das schnellste Pferd des Menschengeistes von dem silberweißen Roß der Menschenseele überholt wird. Als ich hierauf mit ihm sprach, hörte ich zum zweitenmal von dir. Ich begann in meiner Phantasie nach einem Bild von dir zu suchen. Dann warf mich jene schwere Krankheit nieder, von der ich hier bei dir erstanden bin. Ich lag bewußtlos, ohne Tätigkeit des Geistes. Da begann ich zu erwachen. Es legte sich eine Hand auf meine Stirn, und dabei war es mir, als ob von ihr eine gütig reine, immaterielle Kraft ausströme und dann durch mein ganzes Wesen gehe. Und eine tiefe Stimme sprach die Worte: ‚Der Herr behüte deinen Eingang und deinen Ausgang von nun an bis in Ewigkeit. Amen!‘“
„Das war ich“, sagte der Ustad.
„Ja, du warst es. Du kamst noch oft, wenn ich nicht wachte. Dann hatte ich einen Traum. Oder war es ein Gesicht? Ich befand mich im Haine Mamre, bei der Eiche Abrahams. Da trat die hohe Gestalt des Erzvaters leuchtenden Auges vor mich hin und grüßte mich: ‚Friede sei mit dir!‘ Und als ich das meinige öffnete, standest du vor mir, breitetest deine Hand wie segnend über mich aus und sprachst ganz dieselben Worte. Darum wuchsest du in meinen Fieber- und dann auch in den Genesungsträumen dich in mir zum Ebenbild jenes ausgewanderten Chaldäers aus, welchem der Herr einst die Verheißung gab: ‚Ich werde dich
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