23 Lügen, die sie uns über den Kapitalismus erzählen (German Edition)
der Sorte, die in den meisten Nachrichtenmedien ihres Landes, seien sie konservativ oder liberal, so gern unter Beschuss genommen werden. Banker in New York und Universitätsprofessoren in Chicago lästern in ihren Beiträgen für das Wall Street Journal gern über die ausländerfeindlichen Eskapaden des venezolanischen Präsidenten Hugo Chavez. Dabei kaufen ihre Landsleute das Blatt mit einem Andrew Jackson, der erheblich ausländerfeindlicher war als Chavez.
Die toten Präsidenten können nicht reden. Aber wenn sie es könnten, würden sie ihren Landsleuten und dem Rest der Welt erklären, dass die Politik, die ihre Nachfolger heute propagieren, das genaue Gegenteil dessen ist, was sie einst taten, um eine zweitklassige, von Sklavenarbeit abhängige Agrarwirtschaft in eine der größten Industriemächte der Welt zu verwandeln.
Tu, was ich dir sage, und nicht, was ich gemacht habe
Erinnert man sie an die protektionistische Vergangenheit der USA, so erwidern die Marktliberalen gern, dass ihr Land nicht wegen, sondern trotz seiner protektionistischen Haltung Erfolg hatte. Die USA seien ohnehin für ein schnelles Wachstum prädestiniert gewesen, weil sie ungewöhnlich gut mit Bodenschätzen gesegnet seien und viele hoch motivierte und schwer arbeitende Immigranten aufgenommen hätten. Außerdem heißt es, der große Binnenmarkt federe die negativen Wirkungen des Protektionismus ab, weil er einen gewissen Grad an Wettbewerb zwischen inländischen Firmen zulasse.
Problematisch an diesem Einwurf ist, dass die USA, so dramatisch die Entwicklung dort auch verlaufen ist, durchaus nicht das einzige Land sind, das Erfolg hatte, indem es Maßnahmen gegen den freien Markt ergriff. Wie ich gleich noch ausführen werde, reüssierten vielmehr die meisten der heute reichen Länder mit einer solchen Politik. 2 Und da in diesen Ländern sehr unterschiedliche Bedingungen herrschten, kann man nicht behaupten, dass sich die negativen Folgen des Protektionismus und anderer »falscher« Maßnahmen in all diesen Ländern durch die gleichen besonderen Voraussetzungen aufgehoben hätten. Wenn die USA von ihrem großen Binnenmarkt profitiert haben, wie steht es dann mit den kleinen Ländern Finnland oder Dänemark? Die Amerikaner konnten auf ihren Rohstoffreichtum zurückgreifen, doch wie erklärt sich dann der Erfolg Koreas, der Schweiz und anderer Länder, die praktisch keine nennenswerten Bodenschätze haben? Wenn in den USA die Einwanderung ein positiver Faktor war, was war dann mit den anderen Ländern, von Deutschland bis Taiwan, die einige ihrer besten Mitbürger an die USA und andere Staaten der Neuen Welt verloren? Das Argument mit den »besonderen Bedingungen« zieht einfach nicht.
Großbritannien, angeblich Erfinder des freien Handels, baute seinen Wohlstand auf dem Fundament einer Politik auf, die der Alexander Hamiltons nicht unähnlich war. Das ist kein Zufall. Hamilton befasste sich zwar als Erster theoretisch mit der »jungen Industrie«, doch viele seiner Maßnahmen waren der Politik Robert Walpoles nachempfunden, des ersten britischen Premierministers, der das Land 1721 bis 1742 führte.
Mitte des 18. Jahrhunderts hielt in Großbritannien die Wollindustrie Einzug, eine Hightech-Branche, die sich in den Niederlanden und in Belgien entwickelt hatte. Unterstützt wurde sie in Großbritannien mit Schutzzöllen, Subventionen und anderen Stützungsmaßnahmen, die Walpole und seine Nachfolger den heimischen Wollfabriken zugestanden. Die Branche war bald die Hauptquelle für die britischen Exporteinkünfte. Damit konnte das Land Nahrungsmittel und Rohstoffe einführen, die es für die industrielle Revolution Ende des 18. und Anfang des 19. Jahrhunderts benötigte. Erst in den Sechzigerjahren des 19. Jahrhunderts, als die Briten industriell eine absolute Vormachtstellung innehatten, führten sie den freien Handel ein. So, wie die USA in der Phase ihres Aufstiegs von 1830 bis 1950 das protektionistischste Land der Welt waren, so hatte sich auch Großbritannien in der Zeit seines wirtschaftlichen Aufstiegs zwischen 1720 und 1860 verhalten.
So gut wie alle der heute reichen Länder beförderten ihre junge Industrie mittels Protektionismus und Subventionen. Etliche von ihnen, insbesondere Japan, Finnland und Korea, unterwarfen zudem ausländische Investitionen strengen Beschränkungen. Zwischen 1930 und 1990 wurden in Finnland alle Unternehmen, die zu mehr als 20 Prozent Ausländern gehörten, offiziell als »gefährliche
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