23 Lügen, die sie uns über den Kapitalismus erzählen (German Edition)
in der Vergangenheit Erfolg gehabt habe, heißt es weiter, müsse heute noch lange nicht funktionieren.
In Wahrheit haben sich die Entwicklungsländer gar nicht so schlecht geschlagen, damals in den Sechzigern und Siebzigern, in jenen »schlechten alten Tagen« des Protektionismus und der staatlichen Intervention. Jedenfalls war das Wirtschaftswachstum in dieser Zeit erheblich besser als in der Phase seit 1980, in der die Länder ihre Märkte geöffnet und dereguliert haben.
Seit den Achtzigerjahren ist nicht nur die Ungleichheit gewachsen, was nach den Reformen zugunsten der Reichen nicht anders zu erwarten war (siehe Nr. 13). Nein, die Entwicklungsländer haben sogar eine deutliche Verlangsamung des Wirtschaftswachstums hinnehmen müssen. Die Steigerung des Pro-Kopf-Einkommens ist in der Dritten Welt von 3 Prozent jährlich zwischen 1960 bis 1980 auf 1,7 Prozent zwischen 1980 und 2000 gesunken, in der Zeit also, als die meisten Marktliberalisierungsreformen durchgeführt wurden. In den letzten zehn Jahren hat sich das Wachstum in den Entwicklungsländern wieder beschleunigt, sodass die Wachstumsrate für die Zeit zwischen 1980 und 2009 bei 2,6 Prozent liegt. Doch dies ist überwiegend dem raschen Wachstum Chinas und Indiens zu verdanken, der beiden Giganten also, die sich bei aller Liberalisierung keine neoliberale Politik zu eigen gemacht haben.
Das Wachstum in Regionen, die vertrauensvoll nach neoliberalem Rezept gewirtschaftet haben – Lateinamerika und Schwarzafrika -, ist erheblich geringer als damals, in den »schlechten alten Tagen«. Während in den Sechziger- und Siebzigerjahren das Pro-Kopf-Einkommen in Lateinamerika um 3,1 Prozent wuchs, lag das Wachstum zwischen 1980 und 2009 nur bei einem Drittel: nämlich 1,1 Prozent. Und auch diese Quote ist teilweise dem raschen Wachstum der Länder in der Region zu verdanken, die Anfang des letzten Jahrzehnts neoliberale Maßnahmen ausdrücklich abgelehnt haben: Argentinien, Ecuador, Uruguay und Venezuela. In Schwarzafrika wuchs in den »schlechten alten Tagen« das Pro-Kopf-Einkommen um 1,6 Prozent, in der Zeit zwischen 1980 und 2009 jedoch nur noch um 0,2 Prozent (siehe Nr. 11).
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der freie Handel und eine Politik der Marktliberalisierung nur selten, wenn überhaupt funktioniert haben. Die meisten reichen Länder haben eine solche Politik nicht betrieben, als sie noch in der Entwicklung waren. Und in den Entwicklungsländern hat sie in den letzten drei Jahrzehnten das Wachstum gebremst und die Einkommensungleichheit vergrößert. Nur wenige Länder sind durch den freien Handel und eine Politik des freien Marktes reich geworden, und das wird sich auch nicht ändern.
Acht: Kapital hat eine Nationalität.
Was sie uns erzählen
Der wahre Held der Globalisierung ist der Weltkonzern. Weltkonzerne oder multinationale Konzerne sind, wie es die Bezeichnung nahelegt, Unternehmen, die ihre ursprünglichen nationalen Grenzen überschritten haben. Der Firmensitz befindet sich oft noch im Land der Gründung, doch Produktionsstätten und Forschungseinrichtungen sind außerhalb des Stammlands angesiedelt. Dort sind bis in die Chefetage Menschen aus aller Welt angestellt. In diesem Zeitalter des staatenlosen Kapitals ist eine nationalstaatliche Haltung gegenüber ausländischem Kapital bestenfalls ineffektiv, schlimmstenfalls kontraproduktiv. Wenn ein Staat Weltkonzerne diskriminiert, werden sie in diesem Land eben nicht investieren. Auch wenn man mit einer solchen Politik der eigenen Wirtschaft helfen und inländische Firmen unterstützen will, schadet sie in Wahrheit, weil sie besonders effiziente Unternehmen daran hindert, sich im Land niederzulassen.
Was sie uns verschweigen
Trotz der zunehmenden »Internationalisierung« von Kapital ist kaum ein Weltkonzern staatenlos, sondern nach wie vor ein nationales Unternehmen mit Betrieben im Ausland. Den Großteil des Kerngeschäfts, etwa die Spitzenforschung und die Strategieplanung, betreiben diese Konzerne zu Hause. Auch die wichtigsten Entscheidungsträger kommen überwiegend aus dem Herkunftsland des Konzerns. Wenn ein Weltkonzern Fabriken schließen oder Stellen abbauen muss, tut er das aus politischen und vor allem wirtschaftlichen Gründen für gewöhnlich in seinem Stammland zuletzt. Das Herkunftsland profitiert demnach am meisten von einem Weltkonzern. Natürlich entscheidet die Herkunft nicht allein über das Verhalten eines solchen Konzerns, aber die Herkunft des Kapitals
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