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23 Lügen, die sie uns über den Kapitalismus erzählen (German Edition)

23 Lügen, die sie uns über den Kapitalismus erzählen (German Edition)

Titel: 23 Lügen, die sie uns über den Kapitalismus erzählen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ha-Joon Chang
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eine bedeutende finnische Minderheit (etwa fünf Prozent der Bevölkerung), in Finnland wiederum existiert eine schwedische Minderheit ähnlicher Größe. Und so weiter.
    Selbst ostasiatische Länder, die von ihrer angeblichen ethnischen Homogenität in der Vergangenheit besonders profitiert haben, weisen bei näherer Betrachtung nicht selten eine gravierende innere Spaltung auf. So sollte man denken, Taiwan wäre ethnisch homogen, weil sämtliche Bürger »Chinesen« sind, doch die Bevölkerung besteht aus zwei (oder vier, wenn man eine etwas feinere Unterscheidung vornimmt) Sprachgruppierungen (den »Festländern« und den Taiwanesen), die einander feindlich gesinnt sind. Japan hat ernste Minderheitenprobleme mit den Koreanern, den Okinawern, den Ainu und den Burakumin. Südkorea mag eines der ethnolinguistisch homogensten Länder der Welt sein, doch hat dies meine Landsleute nicht davon abgehalten, sich gegenseitig zu hassen. Es gibt zum Beispiel zwei Regionen in Südkorea, die sich ganz besonders feindlich gesinnt sind (der Südosten und der Südwesten). Das geht so weit, dass einige Leute in diesen Regionen ihren Kindern nicht erlauben würden, jemanden von »der anderen Seite« zu heiraten. Unter ethnolinguistischen Gesichtspunkten ist Ruanda interessanterweise fast genauso homogen wie Korea. Ungehindert dieser Tatsache führte die Hutu-Mehrheit ethnische Säuberungen durch, denen hunderttausende Angehörige der einst herrschenden Minderheit der Tutsi zum Opfer fielen – ein Beispiel dafür, dass »ethnische Zugehörigkeit« weniger naturgegeben als vielmehr ein politisches Konstrukt ist. Mit anderen Worten: Reiche Länder haben nicht deshalb keine Probleme mit ethnischer Heterogenität, weil es dort keine gibt, sondern weil es ihnen erfolgreich gelungen ist, eine Nation aufzubauen (was allerdings ein oft unbequemer und manchmal sogar gewaltsamer Prozess war, wie man an dieser Stelle anmerken sollte).
    Viele Leute sagen, unfähige Institutionen seien ein Grund für die Rückständigkeit Afrikas (was zum Teil auch stimmt), doch als die reichen Länder auf einem ähnlichen Niveau ihrer materiellen Entwicklung angelangt waren, wie man es heute in Afrika vorfindet, befanden sich ihre Institutionen in einem weitaus schlechteren Zustand. 6 Trotzdem wuchs die Wirtschaft kontinuierlich weiter, und die Länder erreichten schließlich einen hohen Entwicklungsstand. Sie errichteten ihre »guten« Institutionen meist nach oder zumindest parallel zu ihrer wirtschaftlichen Entwicklung. Dies zeigt, dass die Qualität von Institutionen mehr das Resultat wirtschaftlicher Entwicklung denn ein kausaler Faktor ist. Davon ausgehend, können schlechte Institutionen keine Erklärung für das stagnierende Wachstum in Afrika sein.
    Häufig ist auch von den »schlechten« Kulturen Afrikas die Rede, doch wurden den Bevölkerungen der heute reichen Länder einst ebenso schlechte Eigenschaften zugeschrieben, wie ich in dem Kapitel »Faule Japaner und diebische Deutsche« in meinem Buch Bad Samaritans ausgeführt habe. Bis Mitte des 19. Jahrhunderts hätte ein Brite über die Deutschen noch gesagt, diese seien zu dumm, zu individualistisch und zu gefühlsbetont, um ihre Staatswirtschaften zu entwickeln (Deutschland war damals noch kein geeintes Reich) – das genaue Gegenteil des stereotypen Deutschlandbilds, das mittlerweile in England herrscht, und exakt die Sorte Vorurteile, die man heute gegenüber den Afrikanern hat. Die japanische und die deutsche Kultur wurden durch die wirtschaftliche Entwicklung verändert, da die straff organisierte Industriegesellschaft den Menschen ein disziplinierteres, überlegteres und kooperativeres Verhalten abverlangte. In diesem Sinn ist auch die Kultur oft mehr ein Ergebnis als ein ursächlicher Faktor wirtschaftlicher Entwicklung. Es ist daher falsch, die Kultur Afrikas für das wirtschaftliche Versagen des Schwarzen Kontinents verantwortlich zu machen. Dies gilt im Übrigen für jedes Land und jede Region entsprechend.
    Die vermeintlich unüberwindbaren strukturellen Hemmschuhe für die wirtschaftliche Entwicklung in Afrika (und natürlich auch anderswo) sind also in der Regel Dinge, die mit moderner Technologie, guter Organisation und verbesserten politischen Institutionen in den Griff zu bekommen sind, was teilweise auch geschehen ist. Die Tatsache, dass die meisten der heutigen reichen Länder ebenfalls unter solchen Bedingungen litten (und bis zu einem gewissen Grad noch leiden), ist ein

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