23 Lügen, die sie uns über den Kapitalismus erzählen (German Edition)
die durchschnittliche jährliche Zuwachsrate des Pro-Kopf-Einkommens in Schwarzafrika zwischen 1980 und 2009 auf lediglich 0,2 Prozent belief. Heute, 30 Jahre nach Einführung einer »besseren« (also freien) Marktwirtschaft, ist das Pro-Kopf-Einkommen in Schwarzafrika damit mehr oder weniger das gleiche wie 1980.
Die sogenannten strukturellen Faktoren sind in Wahrheit also nur die Sündenböcke, die von den Befürwortern der freien Marktwirtschaft ausgemacht wurden. Als sie feststellten, dass ihre Politik versagte, mussten sie rasch eine andere Erklärung für die Stagnation der afrikanischen Wirtschaft finden (oder besser: für deren Rückgang, wenn man das geringe Wachstum der letzten Jahre nicht mitrechnet, da dieses durch einen inzwischen wieder verebbten Rohstoffboom bedingt war). Es war für sie undenkbar, dass ihre »richtige« Politik der freien Marktwirtschaft nicht zum gewünschten Ergebnis geführt haben sollte. Es ist kein Zufall, dass die strukturellen Faktoren als Erklärung für die kränkelnde afrikanische Wirtschaft gerade zu dem Zeitpunkt ins Gespräch kamen, als sich das Wachstum Anfang der Achtziger in Luft aufgelöst hatte.
Kann Afrika seine Geografie und seine Geschichte ändern?
Die Möglichkeit, dass die oben erwähnten strukturellen Variablen nur deshalb ins Spiel gebracht worden sind, um die freie Marktwirtschaft vor einer Blamage zu bewahren, bedeutet jedoch nicht, dass sie vollkommen irrelevant wären. Viele Theorien darüber, wie eine bestimmte strukturelle Variable das wirtschaftliche Ergebnis beeinflussen kann, sind durchaus stichhaltig. Ein schlechtes Klima kann die Entwicklung hemmen. Von armen und politisch instabilen Nachbarländern umgeben zu sein, begrenzt die Exportmöglichkeiten und erhöht das Risiko, in Konflikte hineingezogen zu werden. Ethnische Spannungen und die Ausbeutung von Ressourcen können eine perverse politische Dynamik erzeugen. All diese Folgen sind jedoch nicht unausweichlich.
Zunächst einmal können sich solche strukturellen Faktoren auf ganz unterschiedliche Art und Weise auswirken. Zum Beispiel kann ein Ressourcenreichtum entsetzliche politische Verhältnisse schaffen, er kann aber auch für die Entwicklung förderlich sein. Wenn das nicht der Fall wäre, würden wir nicht gleich mit solchem Unverständnis reagieren, wenn an Ressourcen reiche Staaten schlechte wirtschaftliche Ergebnisse vorzuweisen haben. Natürliche Ressourcen erlauben es armen Ländern, Devisen einzunehmen, mit denen sie fortschrittliche Technologien kaufen können. Diese Ressourcen als Fluch zu bezeichnen, ist so, als sagte man, dass alle Kinder, die in eine reiche Familie hineingeboren werden, im Leben versagen müssten, weil sie durch ihren ererbten Reichtum verdorben wären. Zwar ist dies bei einigen dieser Kinder aus exakt diesem Grund tatsächlich der Fall, aber es gibt auch viele andere, die ihren Reichtum zu nutzen verstehen und sogar noch erfolgreicher werden als ihre Eltern. Die Tatsache, dass ein Faktor strukturell ist (sprich: historisch oder natürlich bedingt), bedeutet nicht, dass die Wirkung seines Einflusses von vornherein feststeht.
Die Annahme, all diese strukturellen Faktoren wären unüberwindbar, wird vielmehr dadurch widerlegt, dass die meisten der heute reichen Länder sich trotz vergleichbarer Hemmnisse ausgezeichnet entwickelt haben. 4
Werfen wir zunächst einen Blick auf das Klima. Tropisches Klima dämpft angeblich das Wirtschaftswachstum, weil es schwere gesundheitliche Belastungen mit sich bringt, insbesondere durch Tropenkrankheiten wie Malaria. Dies ist ein schreckliches Problem, aber überwindbar. Viele der heutigen reichen Länder hatten, zumindest im Sommer, mit Malaria und anderen Tropenkrankheiten zu kämpfen – nicht nur Singapur, das mitten in den Tropen liegt, sondern auch Süditalien, die Südstaaten der USA, Südkorea und Japan. Diese Krankheiten spielen heute nur deshalb keine große Rolle mehr, weil die entsprechenden Länder dank wirtschaftlicher Entwicklung über eine bessere Hygiene (wodurch die Ausbreitung drastisch eingedämmt wurde) und bessere Gesundheitseinrichtungen verfügen. Gegen das Klimaarg ument spricht auch, dass kalte und arktische Klimaverhältnisse, mit denen eine Reihe von Ländern wie Finnland, Schweden, Norwegen, Kanada und Teile der USA zu kämpfen haben, eine ebenso kostspielige Hürde für die Wirtschaft darstellen können wie ein tropisches Klima – Maschinen frieren ein, die Treibstoffkosten schießen in die
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