23 Lügen, die sie uns über den Kapitalismus erzählen (German Edition)
Korea, das über viele Arbeitskräfte und nur ein geringes Kapital verfügte, jedoch keine kapitalintensiven Produkte wie Stahl erzeugen. 1
Zudem erzeugte Korea selbst nicht einmal die erforderlichen Rohstoffe. In Schweden entwickelte sich eine Eisenund Stahlindustrie, weil das Land über große natürliche Eisenerzvorkommen verfügt. Korea hingegen förderte weder Eisenerz noch Kokskohle in nennenswertem Umfang, verfügte also über keine der beiden Grundzutaten zur modernen Stahlherstellung. Heute könnte es diese aus China importieren, doch damals während des Kalten Krieges existierten zwischen China und Korea keinerlei Handelsbeziehungen. Also mussten die Rohstoffe aus Ländern wie Australien, Kanada und den Vereinigten Staaten eingeführt werden – allesamt zwischen 8000 und 10 000 Kilometer entfernt. Dies trieb die Produktionskosten gewaltig in die Höhe.
Kein Wunder, dass es die koreanische Regierung schwerhatte, mögliche ausländische Geldgeber und Investoren von dem Plan zu überzeugen, trotz aller Zusagen, das Stahlwerk umfassend staatlich zu unterstützen – etwa durch eine frei nutzbare Infrastruktur (Häfen, Straßen, Eisenbahnen), Steuervergünstigungen, eine beschleunigte Abschreibung der Sacheinlagen (wodurch sich die steuerliche Belastung in den ersten Jahren minimieren würde), günstige Strompreise und so weiter und so fort.
Während der laufenden Verhandlungen mit potenziellen Geldgebern – etwa der Weltbank und den Regierungen von Großbritannien, der BRD, Frankreich, Italien und der USA – unternahm die koreanische Regierung Dinge, die das Projekt noch unattraktiver erscheinen ließen. Die 1968 gegründete Betreibergesellschaft des Stahlwerks, die Pohang-Eisen- und Stahlgesellschaft, war ein staatliches Unternehmen – obwohl die Effizienz staatlicher Betriebe in Entwicklungsländern allgemein bezweifelt wurde. Um dem Ganzen die Krone aufzusetzen, sollte das Unternehmen von Park Tae-Joon geleitet werden, einem ehemaligen Heeresgeneral. Dieser hatte ein paar Jahre lang eine staatseigene Wolfram-Minengesellschaft geleitet und verfügte nur über eine minimale betriebswirtschaftliche Erfahrung. Das ging dann doch zu weit – selbst für eine Militärdiktatur. Das Land wollte zur größten wirtschaftlichen Unternehmung in seiner Geschichte ansetzen, und der Hauptverantwortliche war nicht einmal ein professioneller Geschäftsmann!
Die möglichen Geldgeber sahen in dem Projekt daher die schlechteste Geschäftsidee in der Geschichte der Menschheit: ein staatliches Unternehmen, das von einem aus politischen Gründen ernannten Soldaten geleitet wurde und ein Produkt herstellte, welches nach allen gängigen Wirtschaftstheorien nicht zu dem Land passte. Selbstverständlich empfahl die Weltbank auch allen anderen Geldgebern, das Projekt zu ignorieren. Im April 1969 brachen sämtliche Teilnehmer die Verhandlungen offiziell ab.
Die koreanische Regierung zeigte sich dadurch unbeirrt. Es gelang ihr, die japanische Regierung davon zu überzeugen, einen Großteil der Reparationen für ihre Besatzungszeit (1910 bis 1945) in das Stahlprojekt zu investieren und darüber hinaus die notwendigen Maschinen und das technische Know-how zur Verfügung zu stellen.
Das Unternehmen nahm 1973 den Betrieb auf und etablierte sich bemerkenswert schnell am Markt. Mitte der Achtzigerjahre galt es bereits als einer der weltweit kosteneffizientesten Hersteller von billigem Stahl. In den Neunzigern war es eines der führenden Stahlunternehmen der Welt. Im Jahre 2001 wurde es privatisiert, allerdings nicht wegen schlechter Bilanzen, sondern aus politischen Gründen. Heute ist die Pohang-Eisen- und Stahlgesellschaft der viertgrößte Stahlproduzent der Welt (gemessen an der Produktionsmenge).
Wir stehen hier also vor einem verzwickten Rätsel: Wie konnte eine der schlechtesten Geschäftsideen der Geschichte zu einer der größten Erfolgsstorys in der Wirtschaftsgeschichte werden? Das Rätsel ist sogar noch kniffliger, denn die Pohang-Eisen- und Stahlgesellschaft ist beileibe nicht das einzige erfolgreiche koreanische Unternehmen, das staatlicher Initiative entsprang.
Während der gesamten Sechziger- und Siebzigerjahre drängte die koreanische Regierung private Firmen, sich in Bereichen zu engagieren, in denen sie aus eigenem Antrieb niemals tätig geworden wären. Dies geschah oft mithilfe verlockender Angebote: Die Regierung machte Subventionsversprechen oder stellte zollrechtliche Bestimmungen als Schutz vor Importen in
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