23 Lügen, die sie uns über den Kapitalismus erzählen (German Edition)
zurückblicke, seitdem ich in Cambridge unterrichte, habe ich doch erhebliche Zweifel daran, dass die amerikanischen Studenten (also die potenziellen Manager von morgen) heute drei- bis viermal besser sind als im Jahr 1990, als ich meine Lehrtätigkeit aufnahm. Dies müsste jedoch der Fall sein, wenn sich der Anstieg amerikanischer Managergehälter vom 100-Fachen auf das 300-bis 400-Fache des durchschnittlichen Arbeiterlohns allein an deren beruflicher Qualität orientierte.
Eine gängige Erklärung für die astronomischen Gehaltssteigerungen der letzten Jahre lautet, die Unternehmen seien heute viel größer, sodass ein Topmanager auch wesentlich mehr verdienen könne. Professor Robert H. Frank von der Cornell University lieferte in seiner gern zitierten Kolumne in der New York Times ein beliebtes Beispiel: Wenn ein Unternehmen 10 Milliarden einnimmt, können ein paar gute Entscheidungen eines besseren Topmanagers diese Einnahmen um 30 Millionen steigern. 3 Die implizite Botschaft lautet: Was sind schon die fünf Extramillionen für den Manager, wenn die Firma einen Vorteil von 30 Millionen hat?
Dieses Argument entbehrt zwar nicht einer gewissen Logik. Wenn das Unternehmenswachstum jedoch die einzige Erklärung für den inflationären Anstieg der Managergehälter ist, warum ging es dann erst in den Achtzigern richtig los, obwohl amerikanische Unternehmen auch zuvor ständig gewachsen sind?
Außerdem müsste dasselbe Argument dann auch auf die Arbeitnehmerlöhne anwendbar sein, zumindest in gewissem Umfang. Moderne Großunternehmen arbeiten auf Basis komplexer Arbeitsteilung und Vernetzung, sodass die Sichtweise, allein die Entscheidungen des Managements wären für den Unternehmenserfolg ausschlaggebend, höchst irreführend ist (siehe Nr. 3 und 15). Wenn ein Unternehmen wächst, steigen damit sowohl die Verdienstmöglichkeiten als auch die Verantwortung der einzelnen Arbeitnehmer. Deshalb wird es zunehmend wichtiger, qualifizierte Arbeitskräfte einzustellen. Wenn dies nicht der Fall wäre, warum würden sich die Unternehmen dann riesige Personalabteilungen leisten?
Außerdem: Wenn die zunehmende Bedeutung von Managerentscheidungen der einzige Grund für die Gehälterinflation ist, warum verdienen dann Manager in Japan und Deutschland, die Unternehmen vergleichbarer Größe leiten, nur einen Bruchteil dessen, was man amerikanischen Managern zahlt? Daten des EPI zufolge verdienten deutsche und Schweizer Topmanager im Jahr 2005 nur 55 beziehungsweise 64 Prozent dessen, was ihre amerikanischen Kollegen bekamen. Die Schweden und die Niederländer verdienten nur etwa 44 und 40 Prozent des durchschnittlichen amerikanischen Managergehalts; japanische Führungskräfte wurden mit schnöden 25 Prozent abgespeist. Das durchschnittliche Managergehalt von 13 reichen Ländern außerhalb der USA belief sich auf lediglich 44 Prozent der US-Werte. 4
Diese Zahlen sind jedoch nur sehr bedingt aussagekräftig, da die internationalen Unterschiede bei den Managergehältern weitaus größer sind. Nicht eingerechnet sind die Aktienanteile, die in den USA meist viel höher sind als in anderen Ländern. Weitere Daten des EPI lassen darauf schließen, dass die Managergehälter inklusive dieser Anteile in den USA leicht vier- bis fünfmal, möglicherweise aber sogar fünf- bis sechsmal so hoch sind wie das jeweilige Gehalt ohne Aktienanteile, wenngleich es schwierig ist, den geldwerten Vorteil dieser Papiere exakt zu beziffern. Dies bedeutet, dass das japanische Managergehalt unter Einbeziehung der Aktienanteile statt 25 nur etwa 5 Prozent des US-Managergehalts entspricht.
Wenn die amerikanischen Führungskräfte also irgendwo zwischen zwei (im Vergleich zu den Schweizer Managern, gerechnet ohne Aktienanteile) und zwanzig Mal (im Vergleich zu den japanischen Managern, Aktienanteile eingerechnet) so gut sind wie ihre ausländischen Kollegen, wie kann es dann sein, dass die von ihnen geleiteten Unternehmen in vielen Industriezweigen ihren japanischen und europäischen Rivalen hinterherhinken?
Man könnte annehmen, dass die japanischen und europäischen Manager für ein niedrigeres absolutes Gehalt arbeiten können, weil die Einkommen dort allgemein niedriger sind. Die Löhne in Japan und Europa bewegen sich jedoch auf etwa dem gleichen Niveau wie in den USA. Der Durchschnittslohn eines Arbeitnehmers in den 13 von der EPI-Studie erfassten Ländern belief sich 2005 auf 85 Prozent des US-amerikanischen Vergleichswerts. Die japanischen
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