23 Lügen, die sie uns über den Kapitalismus erzählen (German Edition)
wird.
Vertreter der freien Marktwirtschaft sehen in dieser Disparität bei den Gehältern kein Problem. Sie sagen, wenn jemand 300 Mal so viel verdiene wie der durchschnittliche Arbeiter, dann einzig aus dem Grund, weil er dem Unternehmen 300 Mal so viel Wert zuführe. Wenn jemand nicht die Produktivität biete, die sein hohes Gehalt rechtfertige, würden die Kräfte des Marktes rasch für seine Entlassung sorgen. All jene, die – wie Obama – Diskussionen um zu hohe Gehälter entfachten, seien nichts als Populisten, die den Klassenkonflikt für ihre eigene Politik ausnutzten. Solange die weniger produktiven Werktätigen nicht akzeptierten, dass Menschen ihrer Produktivität entsprechend entlohnt werden müssten, könne der Kapitalismus nicht richtig funktionieren.
Man könnte die eben dargestellten Argumente fast glauben, wenn man ein winziges Zugeständnis machte – und die Fakten ignorierte.
Ich will gar nicht bestreiten, dass manche Leute produktiver sind als andere und dass sie dafür auch mehr verdienen sollten – manchmal auch sehr viel mehr (obwohl sie das nicht selbstgefällig hinnehmen sollten – siehe Nr. 3). Die eigentliche Frage ist, ob der momentane Grad der Ungleichheit gerechtfertigt ist.
Das Gesamtgehalt eines Managers exakt zusammenzurechnen, ist nicht gerade einfach. Zunächst einmal ist die Offenlegung von Managergehältern in vielen Ländern längst noch keine Selbstverständlichkeit. Wenn wir nicht nur das eigentliche Entgelt, sondern das Gehalt insgesamt betrachten, müssen wir auch die Aktienanteile hinzurechnen. Aktienanteile geben dem Empfänger das Recht, in der Zukunft eine bestimmte Anzahl von Aktien des Unternehmens zu erwerben. Daher besitzen sie in der Gegenwart keinen fest bezifferbaren Wert, sodass dieser nur geschätzt werden kann. Abhängig davon, nach welcher Methode diese Schätzung vorgenommen wird, kann der Wert von Aktienanteilen und damit auch das Gesamtgehalt eines Managers stark variieren.
Wie bereits erwähnt, bewegte sich in den Sechziger- und Siebzigerjahren das Verhältnis der Managergehälter (Grundgehalt, Boni, Pensionen und Aktienanteile) zum Durchschnittslohn (Lohn und Zusatzleistungen) in den USA in einem Bereich zwischen 30 bis 40 zu eins. Dieses Verhältnis hat sich seit Beginn der Achtziger rasant zugunsten der Manager verschoben und erreichte Anfang der Neunziger die Marke von 100 zu eins, zu Beginn des neuen Jahrtausends sogar schwindelnde 300 bis 400 zu eins.
Man vergleiche dies einmal mit der Lohnentwicklung bei den amerikanischen Arbeitern: Nach Zahlen des EPI stieg der auf den Dollarkurs des Jahres 2007 umgerechnete (und somit der Inflation angepasste) durchschnittliche Stundenlohn eines Arbeiters in den USA von 18,90 im Jahr 1973 auf 21,34 im Jahr 2006. Das entspricht einer Lohnsteigerung von 13 Prozent in 33 Jahren, also einem Zuwachs von 0,4 Prozent jährlich. 1 Wenn man die gleiche Rechnung nicht nur für das Entgelt, sondern auch für das Gesamtgehalt (inklusive Zusatzleistungen) anstellt, ergibt sich ein noch düstereres Bild. Selbst wenn man annimmt, dass die Löhne während einer Rezession fallen, und nur die Phasen wirtschaftlicher Erholung betrachtet, stiegen die Durchschnittslöhne um lediglich 0,2 Prozent zwischen 1983 und 1989, zwischen 1992 und 2000 um 0,1 Prozent und zwischen 2001 und 2007 schließlich gar nicht mehr. 2
Mit anderen Worten: Die Arbeitslöhne in den Vereinigten Staaten sind seit Mitte der Siebziger praktisch gleich geblieben. Das soll natürlich nicht heißen, dass sich der Lebensstandard der Amerikaner seit den Siebzigerjahren nicht verbessert hätte. Im Gegensatz zum Durchschnittslohn ist das Familieneinkommen gestiegen, doch liegt dies einzig daran, dass in immer mehr Familien beide Partner arbeiten.
Wenn man der Logik des freien Marktes folgt, die besagt, dass Menschen ihrer Wertschöpfung entsprechend bezahlt werden sollten, dann würde der Anstieg des Durchschnittsgehalts eines Managers vom 30- bis 40-Fachen des Durchschnittslohns (der sich kaum verändert hat) auf das 300- bis 400-Fache bedeuten, dass amerikanische Manager heute – relativ gerechnet – zehn Mal so produktiv sind wie in den Sechziger- und Siebzigerjahren. Stimmt das?
Die durchschnittliche Kompetenz der US-Manager mag durch bessere Ausbildung und Weiterbildung tatsächlich gestiegen sein, doch ist es wirklich plausibel, dass sie zehn Mal so gut sind wie ihre Kollegen eine Generation zuvor? Wenn ich einmal nur auf die letzten zwanzig Jahre
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