Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
23 Lügen, die sie uns über den Kapitalismus erzählen (German Edition)

23 Lügen, die sie uns über den Kapitalismus erzählen (German Edition)

Titel: 23 Lügen, die sie uns über den Kapitalismus erzählen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ha-Joon Chang
Vom Netzwerk:
Wirtschaftswachstum seit Beginn der neoliberalen und reichenfreundlichen Reformen in den Achtzigerjahren verlangsamt hat. Daten der Weltbank zufolge wuchs die Weltwirtschaft, gemessen am Pro-Kopf-Einkommen, während der Sechzigerjahre um etwas über 3 Prozent, während sie seit den Achtzigern nur noch um 1,4 Prozent jährlich ansteigt.
    Kurz gesagt: Seit den Achtzigern geben wir den Reichen ein größeres Stück von unserem Kuchen, weil wir glauben, dass sie dadurch mehr Wohlstand schaffen und den Kuchen größer machen würden, als ansonsten langfristig möglich wäre. Schön und gut, die Reichen haben ihr größeres Stück vom Kuchen bekommen – die Geschwindigkeit aber, mit welcher der Kuchen zunimmt, hat sich verringert .
    Das Problem ist, dass die Konzentration des Volkseinkommens in den Händen des Investors – sei es nun die kapitalistische Klasse oder Stalins zentrale Planverwaltung – nicht zu einem höheren Wachstum führt, wenn der Investor nicht bereit ist zu investieren. Als Stalin das Volkseinkommen in den Händen des Wirtschaftsplanungskomitees (Gosplan) konzentrierte, gab es wenigstens eine Garantie dafür, dass dieses konzentrierte Einkommen auch in Investitionen umgewandelt würde (wenn auch die Produktivität dieser Investitionen durch Faktoren wie Planungsfehler und mangelnde Arbeitsanreize negativ beeinflusst werden konnte – siehe Nr. 19). In kapitalistischen Volkswirtschaften hingegen gibt es einen solchen Mechanismus nicht. Trotz einer seit den Achtzigerjahren wachsenden Ungleichheit sind in allen G7-Staaten (Japan, Deutschland, Großbritannien, Italien, Frankreich, Kanada und den USA) und den meisten Entwicklungsländern die Investitionen als Kennziffer des nationalen Ausstoßes zurückgegangen.
    Selbst wenn eine Auf wärtsumverteilung des Volkseinkommens mehr Wohlstand schaffen sollte als andernfalls möglich (was, ich wiederhole, nicht eingetreten ist), gibt es keine Garantie dafür, dass die Armen von diesem zusätzlichen Volkseinkommen profitieren. Zunehmender Wohlstand an der Spitze kann möglicherweise irgendwann »durchsickern«, doch ist dies kein von vornherein feststehendes Ergebnis.
    Freilich ist die »Trickle-down-Theorie« auch kein vollkommener Unsinn. Wir können eine Einkommensumverteilung nicht nur nach ihren unmittelbaren Auswirkungen beurteilen, ganz gleich, wie gut oder schlecht diese aussehen mögen. Wenn reiche Leute mehr Geld haben, verwenden sie es vielleicht auch dazu, Investitionen und Wachstum zu steigern. In diesem Fall könnte das Ergebnis einer Aufwärtsumverteilung langfristig ein absolutes Wachstum sein, was freilich nicht unbedingt den relativen Anteil betrifft, also das Einkommen, das der Einzelne bekommt.
    Das Problem ist jedoch, dass der erwünschte Sickereffekt normalerweise kaum eintritt, wenn man alles dem Markt überlässt. Zum Beispiel konzentrierten – abermals nach Angaben des EPI – zwischen 1989 und 2006 rund 20 Prozent der US-Bevölkerung 91 Prozent des Volkseinkommens auf sich, das eine Prozent an der Spitze satte 59 Prozent. Im Gegensatz dazu ist es in Ländern mit einem starken Wohlfahrtsstaat wesentlich leichter, die Erträge eines durch Aufwärtsumverteilung entstandenen zusätzlichen Wachstums über Steuern und Umschichtungen gerecht zu verteilen. Vor Steuern und Transferleistungen ist die Einkommensverteilung in Belgien und Deutschland ungleicher als in den Vereinigten Staaten, in Schweden und den Niederlanden hingegen mehr oder weniger die gleiche wie in den USA. 3 Mit anderen Worten: Wir brauchen den Wohlfahrtsstaat als Geldpumpe, damit der an der Spitze geschaffene Wohlstand tatsächlich bis nach unten durchsickert.
    Schließlich und endlich gibt es auch viele Anhaltspunkte dafür, dass eine abwärts gerichtete Einkommensumverteilung das Wachstum fördert, wenn diese nur in der richtigen Art und Weise und zur rechten Zeit erfolgt. In der heutigen Zeit wirtschaftlichen Niedergangs ist es für eine Volkswirtschaft sicherlich das Beste, wenn der Wohlstand nach unten umverteilt wird, weil ärmere Leute in der Regel einen höheren Teil ihres Einkommens ausgeben. Die wirtschaftsfördernde Wirkung der Extramilliarde Dollar, die über höhere Sozialausgaben den niedrigeren Einkommensschichten zugute kommt, ist größer, als wenn man über Steuerentlastungen dieselbe Summe den Reichen gibt. Wenn die Löhne nicht auf oder gar unter dem Existenzniveau eingefroren sind, kann ein zusätzliches Einkommen sogar bewirken, dass Arbeitnehmer dieses

Weitere Kostenlose Bücher