23 Lügen, die sie uns über den Kapitalismus erzählen (German Edition)
damit. Die kollektive Fähigkeit, effektive Organisationen und Institutionen aufbauen und betreiben zu können, ist heute für den Wohlstand einer Nation viel wichtiger als der Ehrgeiz und unternehmerische Weitblick Einzelner (siehe Nr. 17). Solange wir uns nicht vom Mythos des heroischen Einzelunternehmers lösen und armen Ländern dabei helfen, Institutionen und Organisationen kollektiven Unternehmertums aufzubauen, wird sich die Armut in diesen Ländern nicht nachhaltig bekämpfen lassen.
Sechzehn: Wir sind nicht schlau genug, um alles dem Markt zu überlassen.
Was sie uns erzählen
Wir sollten den Markt sich selbst überlassen, und zwar vor allem deshalb, weil die Marktteilnehmer wissen, was sie tun. Soll heißen: Sie handeln rational. Einzelne (und Firmen als Ansammlungen von Individuen mit den gleichen Interessen) verfolgen stets ihre eigenen Interessen und können ihre eigene Situation am besten beurteilen. Wenn von außen und insbesondere durch die Regierung versucht wird, ihre Handlungsfreiheit einzuschränken, ist dies nicht dazu geeignet, das wirtschaftliche Ergebnis zu verbessern. Eine Regierung ist in Wirtschaftsangelegenheiten in der Regel schlechter informiert als die Wirtschaft selbst. Es ist daher anmaßend und dumm, Marktteilnehmer von Dingen abzuhalten, die sie für profitabel halten, oder sie zu etwas zu zwingen, das sie nicht tun wollen.
Was sie uns verschweigen
Die Leute wissen nicht unbedingt, was sie tun. Unsere Fähigkeit, etwas zu begreifen, auch wenn es uns ganz direkt betrifft, ist begrenzt. Wir verfügen nur über eine, um in der Fachsprache zu bleiben, »eingeschränkte Rationalität«. Die Welt ist extrem komplex, und unsere Auffassungsgabe reicht längst nicht aus, um sie vollständig zu durchdringen. Um den Problemen, denen wir gegenüberstehen, etwas von ihrer Komplexität zu nehmen, müssen wir daher unsere Entscheidungsfreiheit bewusst beschneiden, was normalerweise auch geschieht. Besonders in Bereichen wie dem modernen Finanzmarkt funktioniert eine staatliche Regulierung nicht deshalb, weil die Regierung über ausgezeichnetes Wissen verfügt, sondern weil sie die Entscheidungsfreiheit und damit die Komplexität der vorliegenden Probleme einschränkt und dadurch die Wahrscheinlichkeit reduziert, dass allzu viel schiefgeht.
Märkte mögen versagen, aber …
Wie schon Adam Smith mit seinem Begriff der »unsichtbaren Hand« zum Ausdruck brachte, behaupten die Vertreter der freien Marktwirtschaft, das Schöne am freien Markt sei, dass die Entscheidungen einzelner Individuen (und Firmen) reguliert würden, ohne dass dies jemand bewusst versuche. Dies sei deshalb möglich, weil die wirtschaftlichen Akteure in dem Sinn rational seien, dass sie ihre eigene Situation und die Möglichkeiten, diese zu verbessern, am besten beurteilen könnten. Dabei räumt man durchaus ein, dass einzelne Personen irrational handeln oder sogar im Allgemeinen rationale Personen gelegentlich irrational handeln. Auf lange Sicht aber bestraft der Markt irrationales Handeln – zum Beispiel erzielen Investoren, die »irrational« in überteuerte Aktien investieren, aus diesem Geschäft nur einen geringen Gewinn, was sie wiederum zwingt, entweder ihr Verhalten anzupassen oder vom Markt zu verschwinden. Angesichts dessen, so die Verfechter des freien Marktes, lasse sich die Marktwirtschaft am besten leiten, wenn man es dem Einzelnen überlasse, was zu tun sei und was nicht.
Selbstverständlich würden nur wenige behaupten, dass Märkte perfekt seien. Sogar Milton Friedman gab zu, dass es Bereiche gebe, in denen die Märkte versagten. Ein klassisches Beispiel ist die Umweltverschmutzung. Menschen »überproduzieren« Umweltverschmutzung, weil sie für die Kosten ihrer Beseitigung nicht aufkommen. Der für einen Einzelnen (oder eine Firma) optimale Verschmutzungsgrad stellt unter gesamtgesellschaftlichen Gesichtspunkten also einen suboptimalen Zustand dar. Die Vertreter der freien Marktwirtschaft weisen jedoch eilig darauf hin, dass ein Versagen des Marktes, wiewohl theoretisch möglich, in der Realität äußerst selten sei. Die beste Lösung, einem Marktversagen entgegenzuwirken, sei es zudem oft, wenn man weitere Kräfte am Markt einführe. Die beste Möglichkeit, die Umweltverschmutzung zu reduzieren, sei daher, einen Markt dafür zu schaffen – durch »handelbare Emissionsrechte«, die den Leuten das Recht geben, innerhalb eines gesellschaftlich optimierten Maximums ihren Bedürfnissen entsprechend
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