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23 Lügen, die sie uns über den Kapitalismus erzählen (German Edition)

23 Lügen, die sie uns über den Kapitalismus erzählen (German Edition)

Titel: 23 Lügen, die sie uns über den Kapitalismus erzählen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ha-Joon Chang
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Verschmutzungsrechte zu kaufen und zu verkaufen. Obendrein, so die Marktliberalen, versagten Regierungen ebenfalls (siehe Nr. 12). Regierungen fehle es bisweilen am notwendigen Wissen, um ein Versagen des Marktes zu korrigieren. Oder sie seien von Politikern und Bürokraten geleitet, die ihre eigenen Interessen den nationalen Interessen voranstellten (siehe Nr. 5). All das bedeute, dass die Kosten eines Regierungsversagens in der Regel höher seien als die Kosten für ein Versagen des Marktes, den dieselbe Regierung angeblich retten wolle. Ein Marktversagen rechtfertige daher eine Regierungsintervention nicht, sagen die Vertreter der freien Marktwirtschaft.
    Die Debatte um die relative Bedeutung von Marktversagen und Regierungsversagen ist noch in vollem Gange, und auch ich werde sie hier nicht abschließend behandeln können. Ich kann jedoch an dieser Stelle wenigstens darauf hinweisen, dass das Problem mit dem freien Markt nicht mit der Tatsache endet, dass individuell rationale Handlungen möglicherweise zu einem kollektiv irrationalen Endergebnis führen (sprich: einem Versagen des Marktes). Das Problem beginnt schon damit, dass wir gar nicht rational sind. Wenn sich die Annahme der Rationalität aber nicht halten lässt, müssen wir über die Rollen des Marktes und der Regierung ganz anders nachdenken. Dabei hilft es nicht viel, dass wir die Möglichkeit eines Marktversagens in Betracht ziehen, weil auch dies letztendlich voraussetzt, dass wir rational sind. Lassen Sie mich das erklären.

Wenn Sie so schlau sind …

    Im Jahr 1997 wurde Robert Merton und Myron Scholes für ihre »neue Methode, den Wert von Derivaten zu bestimmen«, der Nobelpreis in den Wirtschaftswissenschaften verliehen. Die Auszeichnung ist eigentlich kein richtiger Nobelpreis, sondern ein Preis, den die schwedische Zentralbank im Gedenken an Alfred Nobel vergibt. Vor ein paar Jahren drohte die Familie Nobel sogar damit, die Verwendung des Namens ihres berühmten Vorfahren für diesen Preis zu untersagen, da er hauptsächlich Vertretern der freien Marktwirtschaft verliehen worden war, von denen Alfred Nobel alles andere als begeistert gewesen wäre. Doch das ist eine andere Geschichte.
    Im Jahr 1998 stand nach der russischen Finanzkrise ein großer Hedgefonds namens Long-Term Capital Management (LTCM) kurz vor dem Bankrott. Der Fonds war ungeheuer groß, und man musste befürchten, dass bei einem Bankrott alle anderen mit in den Abgrund gerissen würden. Das US-Finanzsystem verhinderte den Kollaps nur, weil das Federal Reserve Board, die Zentralbank der Vereinigten Staaten, dem etwa einen Dutzend Kreditbanken die Daumenschrauben anlegte, damit diese frisches Geld in das Unternehmen pumpten. Diese Banken wurden zu unfreiwilligen Teilhabern und erlang ten zusammen eine Aktienmehrheit von über 90 Prozent. Im Jahr 2000 gingen bei LTCM endgültig die Lichter aus.
    Im Aufsichtsrat des 1994 von dem berühmten (inzwischen berüchtigten) Finanzier Merriwether gegründeten Unternehmens LTCM saßen auch – kaum zu glauben – Merton und Scholes. Merton und Scholes liehen der Firma nicht einfach gegen einen fetten Scheck ihre Namen; sie waren tätige Gesellschafter, deren Modell zur Unternehmensbewertung LTCM aktiv verwendete.
    Unbeeindruckt vom LTCM-Debakel, gründete Scholes 1999 einen weiteren Hedgefonds namens Platinum Grove Asset Management (PGAM). Die neuen Teilhaber sahen den Grund für das Totalversagen des Merton-Scholes-Modells im Jahr 1998 aller Wahrscheinlichkeit nach darin, dass es sich bei der russischen Krise um ein singuläres, vollkommen unvorhersehbares Ereignis gehandelt hatte. Schließlich war das Modell das beste Modell zur Unternehmensbewertung in der Geschichte der Menschheit, und hatte nicht sogar das Nobelpreiskomitee seine Zustimmung gegeben?
    Leider behielten die PGAM-Investoren nicht recht. Im November 2008 ging die neue Firma praktisch pleite. Sämtliche Entnahmen der Investoren wurden zeitweise eingefroren. Der einzige Trost war vermutlich, dass sie nicht die Einzigen waren, die je von einem Nobelpreisträger enttäuscht worden waren. Die Trinsum-Gruppe, deren wissenschaftlicher Leiter Scholes’ ehemaliger Partner Merton war, meldete im Januar 2009 ebenfalls Insolvenz an.
    Ein koreanisches Sprichwort besagt, dass selbst ein Affe einmal vom Baum fallen kann. Ja, wir alle machen Fehler, und ein einziges Versagen – selbst wenn es so gigantisch ist wie im Fall von LTCM – kann man noch als Fehler akzeptieren. Aber zweimal

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