23 Lügen, die sie uns über den Kapitalismus erzählen (German Edition)
dazu das Standardwerk Administrative Behaviour . Nebenbei verfasste er ein paar Beiträge zu physikalischen Themen und widmete sich Organisationstheorie, Betriebswirtschaft, Volkswirtschaft, kognitiver Psychologie und künstlicher Intelligenz. Wenn irgendjemand wusste, wie die Menschen denken und sich organisieren, dann war es Simon.
Simon verwies darauf, dass unsere Rationalität »eingeschränkt« sei. Er glaubte zwar nicht, dass wir vollkommen irrational seien, wenngleich er und viele andere Ökonomen der behavioristischen Schule (ebenso wie viele kognitive Psychologen) überzeugend dargestellt haben, wie irrational unser Verhalten großteils ist. 2 Simon zufolge versuchen wir, rational zu sein, aber unsere Fähigkeit dazu bewegt sich in engen Grenzen. Die Welt ist viel zu komplex, als dass wir sie mit unserer eingeschränkten Intelligenz bis ins Letzte begreifen könnten. Dies bedeutet, dass das Problem, vor dem wir bei einer schwierigen Entscheidung stehen, nicht ein Mangel an Wissen ist, sondern unsere begrenzte Fähigkeit, das vorhandene Wissen zu verarbeiten. Dies wird hübsch illustriert durch die Tatsache, dass das viel beschworene Internetzeitalter die Qualität unserer Entscheidungen offenbar nicht verbessert hat – man muss sich nur einmal ansehen, in welcher Patsche wir heute stecken.
Um es anders auszudrücken: Die Welt steckt voller Unsicherheiten. Unsicherheit bedeutet hier nicht nur, dass man nicht genau weiß, was in der Zukunft geschehen wird. In bestimmten Bereichen können wir die Wahrscheinlichkeit jeder möglichen Alternative sogar ziemlich genau berechnen, wenngleich es uns nicht gelingt, eine exakte Vorhersage zu treffen – Wirtschaftler nennen das »Risiko«. Unsere Fähigkeit, das Risiko zu berechnen, das in vielen Bereichen des menschlichen Lebens steckt – die Wahrscheinlichkeit des Todes, von Krankheit, Feuer, Verletzungen, Missernten und so weiter -, ist die Grundlage der gesamten Versicherungsindustrie. In anderen Lebensbereichen wiederum kennen wir nicht einmal sämtliche möglichen Alternativen, wie unter anderen schon der einsichtige amerikanische Ökonom Frank Knight und der große britische Ökonom John Maynard Keynes Anfang des 20. Jahrhunderts betont haben. Knight und Keynes vertraten die These, dass angesichts solcher Unsicherheit jenes rationale Verhalten, das die wichtigste Grundlage unserer modernen Volkswirtschaft bildet, unmöglich ist.
Es mag vielleicht ein wenig überraschend erscheinen, doch Donald Rumsfeld, George W. Bushs Verteidigungsminister, erklärte das Konzept der Unsicherheit – oder, anders gesagt, die Komplexität der Welt – am besten. In einer kurzen Pressekonferenz zur Situation in Afghanistan sagte Rumsfeld 2002: »Es gibt bekannte Größen. Es gibt Dinge, von denen wir wissen, dass wir sie wissen. Dann gibt es die bekannten Unbekannten. Das sind Dinge, von denen wir heute wissen, dass wir sie nicht wissen. Doch es gibt auch unbekannte Unbekannte. Dass sind Dinge, von denen wir nicht wissen, dass wir sie nicht wissen.« Ich bezweifle, dass die Leute von der Plain English Campaign, die dieses Statement 2003 mit dem Foot-in-Mouth-Preis auszeichneten, überhaupt begriffen, was Rumsfelds Worte für unser Verständnis menschlicher Rationalität bedeuteten. Was sollen wir also tun, wenn die Welt extrem komplex und unsere Fähigkeit, sie zu verstehen, so begrenzt ist? Simons Antwort war, dass wir unsere Entscheidungsfreiheit bewusst einschränken sollten, um die Bandbreite und die Komplexität der Probleme zu reduzieren, mit denen wir konfrontiert werden.
Das klingt esoterisch, aber wenn man einmal genau darüber nachdenkt, ist es genau das, was wir die ganze Zeit tun. Die meisten Menschen schaffen in ihrem Leben eine Routine, damit sie nicht zu oft zu viele Entscheidungen treffen müssen. Die optimale Menge Schlaf und das optimale Frühstück variieren von Tag zu Tag, abhängig von unserer körperlichen Verfassung und den Aufgaben des Tages. Trotzdem gehen die meisten Menschen um die gleiche Zeit zu Bett, stehen zur gleichen Zeit wieder auf und essen ähnliche Sachen zum Frühstück – zumindest an Werktagen.
Simons Lieblingsbeispiel dazu, wie dringend wir ein paar Regeln brauchen, damit wir mit unserer eingeschränkten Rationalität zurechtkommen, war das Schachspiel. Mit lediglich 32 Figuren und 64 Spielfeldern könnte Schach eigentlich eine ziemlich einfache Angelegenheit sein, tatsächlich jedoch erfordert es ein komplexes strategisches Denken.
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