23 Lügen, die sie uns über den Kapitalismus erzählen (German Edition)
sogar schadete.
Nach Meinung wirtschaftsfreundlicher Beobachter trafen diese Regulierungen nicht nur die großen Firmen hart, sondern gingen zu Lasten der Gemeinschaft, indem sie die Gesamtgröße des Kuchens reduzierten, den es zu verteilen galt. Es heißt, die Regulierungen hätten das Wachstum der Gesamtproduktivität verlangsamt, weil sie die Möglichkeiten der Industrie einschränkten, mit neuen Verdienstmöglichkeiten zu experimentieren und in neue Bereiche vorzudringen. Seit den Siebzigerjahren sind viele Länder weltweit dieser Argumentation gefolgt. Gemeinhin wurde akzeptiert, dass, was gut für die Industrie sei, auch gut für die nationale Volkswirtschaft sei. Die Folge war allerorten eine extrem industriefreundliche Politik. Sogar die kommunistischen Länder haben seit den Neunzigern aufgegeben, den Privatsektor zu unterdrücken. Müssen wir also über diese Frage noch weiter nachdenken?
Der Mächtigen Fall
Fünf Jahrzehnte nach Wilsons Ausspruch, im Sommer 2009, meldete GM Insolvenz an. Trotz ihrer bekannten Aversion gegen das Instrument der Verstaatlichung übernahm die US-Regierung mehrheitlich das Unternehmen, unterzog GM einer gründlichen Restrukturierung und wagte mit der runderneuerten Firma einen Neustart. Dieser Prozess kostete die unglaubliche Summe von 57,6 Milliarden Dollar – finanziert aus Steuergeldern.
Man könnte zwar sagen, diese Rettungsaktion sei im nationalen Interesse der USA gewesen. Wenn ein riesiger Konzern wie GM, von dem viele andere Industrien abhängen, plötzlich kollabiert wäre, hätte das sicher einen gewaltigen negativen Welleneffekt auf Arbeitsplätze und Nachfrage gehabt (etwa sinkende Konsumnachfrage bei den arbeitslosen GM-Mitarbeitern, Nachfragestopp für Produkte der Zulieferer). Die Finanzkrise, die sich damals im Land ausbreitete, wäre dadurch verschlimmert worden. Die US-Regierung wählte das kleinere von zwei Übeln, auf Kosten der Steuerzahler. Was gut für GM war, war immer noch gut für die Vereinigten Staaten, könnte man nun sagen, wenngleich es in der Gesamtschau freilich nicht besonders gut war.
Trotzdem sollte man danach fragen, wie GM überhaupt in eine solche Situation gelangen konnte. Seit den Sechzigerjahren war der Autobauer einer scharfen Konkurrenz aus Deutschland, Japan und später auch Korea ausgesetzt. Das Unternehmen reagierte darauf jedoch nicht, wie es am besten gewesen wäre, mit der nächstliegenden, aber schwierigsten Maßnahme: nämlich bessere Autos zu bauen als die Konkurrenz. Stattdessen versuchte man, einen bequemeren Weg zu gehen.
Zunächst beschwerte sich GM über das »Preisdumping« und andere unfaire Handelspraktiken seiner Konkurrenten und brachte die US-Regierung dazu, Importquoten für ausländische, insbesondere japanische Automobile einzuführen und die Exporteure zu zwingen, ihre lokalen Märkte zu öffnen. Als sich in den Neunzigerjahren herausstellte, dass diese Maßnahmen den Niedergang des Konzerns nicht aufhalten konnten, versuchte GM, die Fehler im Bereich des Autobaus durch eine Stärkung seines finanziellen Arms, GMAC (General Motors Acceptance Corporation), wieder wettzumachen. GMAC, eigentlich ein Teilzahlungskreditinstitut zur Finanzierung beim Autokauf, erweiterte seinen Aktionsradius und führte nun auf eigene Rechnung finanzielle Transaktionen durch. GMAC erwies sich durchaus als Erfolg – allein im Jahr 2004 stammten 80 Prozent der Konzerngewinne aus diesem Bereich (siehe Nr. 22). 1 Doch auch diese Zahlen vermochten über das eigentliche Problem nicht hinwegzutäuschen – dass GM nämlich nicht mehr in der Lage war, gute Autos zu wettbewerbsfähigen Preisen zu bauen. Etwa zur gleichen Zeit versuchte das Unternehmen, die dringend notwendigen Investitionen in die Entwicklung besserer Technologien dadurch zu umgehen, dass es kleinere ausländische Konkurrenten aufkaufte (etwa Saab aus Schweden oder Daewoo aus Korea). Dies genügte jedoch bei Weitem nicht, um die einstige technologische Überlegenheit des Autobauers wieder herzustellen. Mit anderen Worten: In den letzten vier Jahrzehnten hat GM alles unternommen, um seinen Niedergang aufzuhalten. Das Einzige, was nicht versucht wurde, war, bessere Autos zu bauen, weil dies – auf gut Deutsch – einfach viel zu anstrengend gewesen wäre.
Offenbar waren aus Sicht von GM all diese Entscheidungen zu ihrem jeweiligen Zeitpunkt richtig – schließlich gestatteten sie dem Konzern, bei minimalem Aufwand noch ein paar Jahrzehnte länger zu bestehen. Für
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