2309 - Die Augen von Charon
bildeten. Fast hätte ich erwartet, das Knirschen zu hören, mit dem die Bordpositronik versuchte, die eingehenden Daten in Bilder umzusetzen, die auch einem unsterblichen Arkoniden einen Eindruck davon verschaffen konnten, worum es sich dabei handelte.
Die Holos blieben seltsam verschwommen, wurden nur langsam klarer, je mehr Daten die Positronik einarbeiten und zu einem Gesamtbild verschmelzen konnte. Dann begriff ich, dass sie das Auge zeigten, das die VERACRUZ auf ihrem Flug passiert hatte.
Ich konnte es nur undeutlich wahrnehmen, doch je mehr Daten des Kantorschen Ultra-Messwerks verarbeitet wurden, desto eindeutiger wurde es. Das „Auge" verwandelte sich in ein Oval, dessen Maße von der Positronik hochgerechnet wurden. Etwa 200 Meter Länge und 100 Meter Breite, wahrscheinlich aber weniger, die Daten waren zu unpräzise. Für eine genauere Ortung hätten wir wohl stationär über dem Auge schweben müssen, doch das war mir zu riskant. Bis ich genau wusste, ob der Kantor-Sextant einwandfrei arbeitete, würde ich mit halber Lichtgeschwindigkeit fliegen lassen, damit unsere drei Schiffe im Notfall ohne große Verzögerung in den Linearraum gehen konnten. „Das Auge ist zweifellos ein künstliches Objekt", stellte Marya Delazar fest, „wahrscheinlich ein Raumschiff. Wir messen starke Ausschläge im ultrahochfrequenten Bereich an, fast achteinhalb mal zehn hoch fünfzehn Kalup. Das Schiff scheint in Wechselwirkung mit der Raumzeit der Wolke zu stehen, wir verzeichnen eindeutig sechsdimensionale Komponenten. Starke Hyperenergieströme fließen zwischen dem Objekt und der Charon-Schranke. Aus dem Bauch heraus würde ich sagen, das Schiff nimmt Einfluss auf das energetische Chaos des Strukturgestöbers, versucht eventuell sogar, das Durcheinander zu stabilisieren."
Also doch!, dachte ich triumphierend. Es gibt Leben in der Charon-Wolke! Und wahrscheinlich handelte es sich dabei um die Charonii, auf die Gon-Orbhon uns hingewiesen hatte. Aufgrund des veränderten Zeitablaufs in Hyperkokons waren in Charon nur wenige Jahrzehntausende und keine Jahrmillionen vergangen. Also standen die Aussichten recht gut, dass die ursprünglichen Bewohner der Wolke überlebt hatten. „Du hast Recht gehabt", sagte Marya Delazar. „Entweder kommt dort drüben eine fortgeschrittene Technologie zum Einsatz oder eine Paraf ähigkeit!"
Ich lächelte zufrieden. Nachdenklich schaute ich zu Marc London hinüber. Es war völlig richtig gewesen, ihn als Verstärkung anzufordern.
Er saß wie unbeteiligt in seinem Sessel und betrachtete fasziniert das Objekt, dessen Generierung die Bordpositronik in höchstens halbfertigem Zustand aus Mangel an weiteren Daten eingestellt hatte. Instinktiv schien er zu bemerken, dass ich ihn ansah; er hob den Kopf und blickte in meine Richtung. „Es tut mir leid", kam er meiner Frage vorweg. „Ich nehme nicht das Geringste wahr."
„Weil es dort keine psionischen Aktivitäten gibt, oder ...?"
Er zuckte die Achseln. „Vielleicht sind wir ganz einfach zu weit entfernt und fliegen zu schnell."
„Hier im Milchstraßenzentrum gibt es zu viele Störfaktoren, auch für Psi-Gaben. Selbst ein ausgebildeter Psiont könnte die Reichweite psionischer Effekte in dieser Zone unmöglich kalkulieren."
„Wenn wir stationär über einem dieser Augen schweben, kann ich vielleicht irgendeine Art von Kontakt herstellen", schlug Marc vor.
Ich zögerte. Wenn wir einen Stopp einlegten, und das mussten wir, wollten wir in der Nähe eines der Augen bleiben, würden wir eine Ewigkeit brauchen, um unsere Fluchtgeschwindigkeit von fünfzig Prozent Licht zu erreichen. Mein Logiksektor berechnete kurz, wie lange die dazu nötige Beschleunigung dauerte. Das Ergebnis: zu lange. Wir wären einem Angriff der TRAITOR-Kolonne mehr oder weniger schutzlos ausgeliefert.
Und ich wusste noch immer nicht genau, ob das Kantorsche Ultra-Messwerk wie erwartet funktionierte.
Das Risiko war groß. Aber wenn wir nur abwarteten, würde es uns niemals gelingen, mehr über die Charon-Wolke zu erfahren.
Die Entscheidung wurde mir abgenommen, jedenfalls vorerst. Denn ausgerechnet in diesem Augenblick gellte eine Alarmsirene durch die VERACRUZ. Die Tonfolge verriet mir, dass es sich um einen Ortungsalarm handelte -ausgelöst vom Kantorschen Ultra-Messwerk!
8.
Atlan: Vorstoß nach Charon „Ortung", meldete Gaiomo Gredor im nächsten Augenblick. „Zwei große Objekte, beide verborgen hinter Dunkelschinnen. Zweifellos Kolonnen-Einheiten!
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