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Wenn man jedoch sorgfältig vorgeht, könnte die Venus letztlich mit etwa doppelt so viel Festland dastehen wie die Erde.
An diesem Punkt (140 Jahre zur Abkühlung und Vorbereitung, fünfzig Jahre schaben und köcheln, also Geduld!) könnte man meinen, dass der Planet bereit für biologische Bewohner ist. Aber man darf nicht vergessen, dass durch die Kombination des Venusjahrs mit seinen 224 Tagen und die tägliche Rotationsdauer von 243 Tagen eine völlig verrückte Kurve entsteht (gegenläufige Drehung, die Sonne geht im Westen auf), an jedem beliebigen Ort auf dem Planeten dauert ein Sonnentag 116,75 Tage. Wie man inzwischen weiß, können die meisten irdischen Lebensformen, modifiziert oder nicht, einen derart langen Tag nicht überleben. An diesem Punkt hat man zwei Möglichkeiten. Die erste besteht darin, den Sonnenschild so zu programmieren, dass er das Sonnenlicht abwechselnd zur Oberfläche durchdringen lässt und blockiert. Er müsste sich wie eine kreisförmige Jalousie öffnen und schließen, um einen erdähnlichen Tag-Nacht-Rhythmus zu erzeugen. Das würde es der neuen Biosphäre leicht machen, aber es würde auch voraussetzen, dass der Sonnenschild immer einwandfrei funktioniert.
Die zweite Möglichkeit bestünde in einem weiteren Bombardement, wobei die Aufschlagkörper den Planeten diesmal in einem Winkel treffen, der ihn in eine Rotation versetzt, die in etwa zu einem Fünfzig-Stunden-Tag führt, was nach allgemeiner Auffassung innerhalb der Toleranzgrenze für die meisten irdischen Lebensformen liegt. Das Problem bei dieser Möglichkeit besteht darin, dass sie die Besiedelung der Planetenoberfläche verzögern würde, da ein Großteil des im Gestein eingeschlossenen Trockeneises freigesetzt werden würde. Man müsste weitere zweihundert Jahre warten, bevor man eine Biosphäre etablieren kann, was die für das Terraforming benötigte Zeit etwa verdoppeln würde. Andererseits wäre man dann in Zukunft nicht mehr von einem Sonnenschild abhängig. Und eine vernünftig zusammengesetzte und gepflegte Venus-Atmosphäre könnte die volle Sonneneinstrahlung ohne Treibhauseffekte oder anderweitige Umweltprobleme verkraften.
Welche der beiden Möglichkeiten man wählt, hängt ganz von den eigenen Vorlieben ab. Man sollte sich überlegen, was man am Ende haben will, oder, wenn man nicht daran glaubt, dass jemals etwas zu Ende geht, welcher Vorgang einem besser gefällt.
Kiran und Shukra
E in paar Tage später näherten sie sich der Venus. Kiran war erfreut, dass auch Swan die Fähre hinunter zum Planeten bestieg. Sie wollte auf der Venus einen Freund treffen; sie würde ihn mit Kiran bekannt machen und sich dann davonmachen.
Auf der Venus gab es keine Weltraumaufzüge, weil sie aufgrund der langsamen Rotation des Planeten nicht funktioniert hätten. Also fuhr ihre Fähre Flügel aus, und als sie durch die Atmosphäre hinabsausten, loderte es weißgelb vor den Fenstern auf. Sie setzten auf einer riesigen Landebahn neben einer Kuppelstadt auf, stiegen in ein U-Bahn-Abteil und verließen es nach einer kurzen Fahrt innerhalb der Stadt. Dort stellten sie fest, dass anscheinend die gesamte Einwohnerschaft auf den Straßen unterwegs war. Kiran folgte Swan durch die Menschenmassen, und in einer Seitenstraße stiegen sie einige Stufen zu einem kleinen Merkur-Haus empor, das sich über einem Fischgeschäft befand. Sie warfen ihre Taschen ab und gingen sofort wieder raus, um sich unters Volk zu mischen.
Die meisten der Gesichter sahen asiatisch aus. Die Leute riefen durcheinander, und weil niemand bei dem Lärm besonders gut hören konnte, riefen sie umso lauter. Swan warf Kiran einen Blick zu und grinste, als sie seinen Gesichtsausdruck sah. »Es ist nicht immer so!«, rief sie.
»Schade!«, rief Kiran zurück.
Anscheinend würden in Kürze zwei große Eisasteroiden in den oberen Schichten der neuen Venus-Atmosphäre aufeinandertreffen, etwa über dem Äquator. Diese Stadt, Colette, befand sich dreihundert Kilometer nördlich des Zusammenpralls und würde deshalb in Kürze hinter einer Wand aus herabstürzendem Regen verschwinden. Der Regen würde ein paar Jahre anhalten, erklärte Swan. Anschließend würde man ein bisschen Licht durch den Sonnenschild lassen und normaleres Wetter machen.
Doch erst kam der große Regen. Um sie herum standen die Massen und erwarteten ihn singend und jubelnd und rufend. Genau um Mitternacht leuchtete der Himmel im Süden weiß auf, schillerte dann gelb und schließlich in allen
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