Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
2312

2312

Titel: 2312 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Stanley Robinson
Vom Netzwerk:
Hundert Plätzen statt, die wie bei einem griechischen Theater in einem Halbkreis um die kleine Bühne herum angeordnet waren. Die Akustik war hervorragend.
    Das Bläserensemble, das etwas größer war als das Publikum, spielte das Finale der Appassionata derart ausgelassen, dass es eines der großartigsten Stücke für Holzbläser wurde, die Wahram je gehört hatte. Es sprudelte vor Tempo. Die Bearbeitung für Holzbläser verwandelte das Stück zu etwas völ lig Neuem, etwa so wie Ravel Mussorgskis Bilder einer Ausstellung in etwas Neues verwandelt hatte.
    Danach erhoben sich zwei Pianisten, setzten sich wie Katzen aneinan dergeschmiegt an ein großes Klavier und begannen, Beethovens Opus 134 zu spielen, seine Bearbeitung der Großen Fuge . Sie mussten wie Percussion-Künstler in die Tasten greifen, regelrecht auf sie eindreschen. Deutlicher als je zuvor hörte Wahram das komplexe Geflecht der großen Fuge heraus, aber auch die irrsinnige Energie des Stücks, die manische Vision eines gewaltigen knirschenden Uhrwerks. Der harte Ansturm von Klaviertönen verlieh ihm eine Klarheit und Gewalt, die Streicher nicht erzielen konnten, egal, wie sehr sie sich mühten und wie technisch versiert sie waren. Wunderbar.
    Im nächsten Beitrag hatte jemand den gleichen Weg in die andere Richtung beschritten und die Hammerklaviersonate für ein Streichquartett arrangiert. Obwohl nun vier Instrumente ein Stück spielten, das für eines geschrieben worden war, war es nach wie vor eine Herausforderung, die Eindringlichkeit der Hammerklaviersonate zu vermitteln. Auf zwei Violinen, eine Bratsche und ein Cello verteilt entfaltete sie sich wunderbar. Der majestätische Zorn des ersten Satzes; die schmerzhafte Schönheit des langsamen Satzes, eines von Beethovens besten; und dann das Finale, eine weitere große Fuge. In Wahrams Ohren klang das alles sehr nach den späten Quartetten – also sozusagen ein neues spätes Quartett, Himmel auch! Es war erschütternd anzuhören. Wahram blickte sich im Publikum um und sah die Flötenspieler und die Pianisten hinter ihren Stühlen stehen, wippen, sich wiegen, die Gesichter gehoben und die Augen geschlossen, als beteten sie; manchmal zuckten sie vor ihren Körpern mit den Händen, als dirigierten oder tanzten sie. Auch Swan tanzte weiter hinten. Die Musik schien sie an einen fernen Ort zu tragen. Wahram war hocherfreut, das zu sehen: Er selbst war weit draußen im Beethoven-Raum, der wahrhaftig gewaltige Ausmaße hatte. Es wäre schockierend gewesen, jemanden anzutreffen, der immun gegen diese Empfindung war; er hätte nicht mehr mit einer solchen Person mitfühlen, sich nicht in sie hineinversetzen können.
    Als Zugabe kündigten die Musiker ein Experiment an. Sie teilten die beiden Klaviere, und das Streichquartett setzte sich in einem Kreis mit den Gesichtern nach innen zwischen sie. Dann spielten sie noch einmal die beiden großen Fugen, und zwar gleichzeitig. Die beiden auf den jeweils falschen Instrumenten gespielten Stücke überlagerten sich und erzeugten eine zunehmende kognitive Verwirrung; und die ruhigen Passagen in beiden Stücken kamen zur selben Zeit und bildeten ein treibendes Auge des Sturms, dass die strukturelle Verwandtschaft der beiden Ungetüme verriet. Als beide zu ihren Hauptfugen zurückkehrten, kratzten und hämmerten alle sechs Instrumente wieder in ihren eigenen Welten, teilten in rasendem Zickzack und mit messianischem Getöse sechs verschiedene Melodien aus. Irgendwie fanden sie alle gemeinsam zu einem Ende. Wahram war sich nicht sicher, welches der Stücke erweitert oder abgekürzt worden war, um das zu ermöglichen, aber jedenfalls endeten alle gemeinsam in einem großen Getöse, und alle Anwesenden, insbesondere die Stehenden, konnten nur noch klatschen und jubeln und pfeifen.
    »Wundervoll«, sagte Wahram hinterher. »Wirklich.«
    Swan schüttelte den Kopf. »Das Ende war zu abgefahren, aber gefallen hat es mir.«
    Sie blieben noch, um die Musiker zu beglückwünschen und sich mit ihnen zu unterhalten. Die Musiker waren denkbar interessiert daran, wie das Ganze für Außenstehende geklungen hatte: Mehr als einer bemerkte, dass er sich nur auf seinen eigenen Teil hatte konzentrieren können. Jemand spielte eine Aufnahme ab, und sie hörten sie sich mit den anderen zusammen an, bis die Musiker anfingen, sie immer wieder anzuhalten und die Details zu erörtern.
    »Zeit, nach Terminator zurückzukehren«, sagte Swan.
    »Alles klar. Ich bin Ihnen so dankbar dafür, es

Weitere Kostenlose Bücher