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nachdem sie eine Weile innegehalten hatte.
Sie hörte ihn und sprach weiter. »Der Körper versucht, am Leben zu bleiben. Es ist gar nicht so … es ist natürlich. Vielleicht erkennst du es ja jetzt. Erst stirbt das Menschenhirn und dann das Tiergehirn, das Reptiliengehirn. Wie bei deinem Rumi, nur anders herum. Das Reptilienhirn versucht noch mit dem letzten bisschen Kraft, alles in Gang zu halten. Ich habe das schon gesehen. Es ist eine Art Verlangen. Eine ganz reale Kraft. Das Leben will leben. Aber früher oder später reißt ein Glied in der Kette. Die Kraft gelangt nicht mehr dorthin, wo sie hinmuss. Das letzte bisschen ATP wird aufgebraucht. Und dann stirbt man. Unsere Körper werden wieder zu Erde, zu Nährboden. Ein natürlicher Kreislauf. Was …« Sie blickte zu ihm auf. »Was soll’s also? Warum das Entsetzen? Was sind wir?«
Wahram zuckte mit den Schultern. »Philosophen-Tiere. Ein seltsamer Zufall. Eine Seltenheit.«
»Oder so normal wie nur was, aber …«
Sie sprach nicht weiter.
»Verstreut?«, riet Wahram. »Zeitweilig?«
»Allein. Immer allein. Selbst wenn wir jemanden berühren.«
»Tja, wir können reden«, sagte er zögerlich. »Das ist auch ein Teil unseres Lebens. Nicht nur das Reptilienzeug. Manchmal strecken wir uns und überbrücken die Leere.«
Sie schüttelte traurig den Kopf. »Ich falle immer in die Leere hinein.«
»Hmm«, sagte er ratlos. »Das wäre schlecht. Aber ich verstehe nicht, wie das sein kann. Angesichts dessen, was du mir erzählt hast. Und dessen, was ich von dir gesehen habe.«
»Es kommt darauf an, wie man sich dabei fühlt.«
Darüber dachte er ein Weilchen nach. Die Lichter zogen über ihnen vorbei, während er den Wagen schob. Stimmte das? Ging es bei der Frage, ob etwas gut oder schlecht war, darum, wie man sich dabei fühlte, und nicht darum, was man eigentlich tat oder was andere darin sahen? Tja, man steckte in seinen Gedanken fest. Die zeitgenössische medizinische Definition des Begriffs »neurotisch« lautete schlicht: »Eine Neigung zu negativen Gedanken.« Wenn man diese Neigung hatte, dachte er, während er Swans kahlen, schuppigen Kopf betrachtete, wenn man neurotisch war, dann gab es praktisch unendlich viel Stoff, um die Neurose zu füttern. Was war schon die wahre Sicht der Dinge? Hier waren sie, eine Ansammlung von Atomen, und hatten tief im Inneren das Gefühl, dass es auf etwas ankam, selbst während sie zu den Sternen emporschauten, selbst wenn sie sich in einem Tunnel befanden, der sich ewig nach unten krümmte. Und dann verloren die Atome irgendwann die Verbindung untereinander, das Gebilde kollabierte. Was war von alldem zu halten?
Er pfiff den Beginn von Beethovens Neunter und stellte sich vor, wie er sie durch ihre finstere Stimmung hindurch und am anderen Ende wieder ans Licht zerrte, mithilfe der tiefsten Tragödie des alten Meisters, dem ersten Satz der Neunten. Er sprang zu der sich wiederholenden Phrase gegen Ende des ersten Satzes, diejenige, die Berlioz für einen Ausweis von Wahnsinn gehalten hatte. Er wiederholte sie. Es handelte sich um die einfache Melodie, die er sein ganzes Leben lang verwendet hatte, um bergauf zu gehen. Jetzt ging es bergab, am Rande eines großen Kreises, aber es passte perfekt zu seiner Stimmung. Er pfiff die acht Töne immer wieder. Sechs runter, zwei hoch. Einfach und klar.
Schließlich sprach Swan, die mit an die Stange gelehntem Rücken, den Blick nach vorne gerichtet, vor ihm auf dem Wagen lag, wieder. Ihr Tonfall war verwaschen, und sie klang, als redete sie mit Pauline. »Ich frage mich, ob die wissen, dass wir leben. Das weiß man nie. Damals war das das Wichtigste überhaupt, aber dann haben sich die Zeiten geändert, und man selbst hat sich verändert, und sie haben sich verändert. Und dann ist es vorbei. Sie hat mir nichts mehr zu sagen.«
Eine lange Pause trat ein. Dann sagte Wahram: »Wer war der Vater deines Kindes? Hattest du je eins auf beide Arten?«
»Ja. Ich weiß nicht, wer der Vater war. Ich bin zur Fastnacht schwanger geworden, wenn alle Masken tragen. Ein Mann, der mir gefiel. Sie weiß, wer es ist, sie hat ihn ausfindig gemacht.«
»Gefällt es dir, wenn jemand maskiert ist?«
»Damals schon. Und seine Haltung, sein ganzes Auftreten.«
»Ich verstehe.«
»Ich wollte es unkompliziert halten. Damals war das ganz normal. Heute würde ich es nicht mehr so machen. Aber das weiß man immer erst, wenn es zu spät ist. Für ein paar Jahre entwickelt man eine folie à deux ,
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