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235 - Auf dem sechsten Kontinent

235 - Auf dem sechsten Kontinent

Titel: 235 - Auf dem sechsten Kontinent Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael M. Thurner
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Kampfeswut zum Opfer gefallen war, drehte er sich um, rieb seinen Körper mit Schnee ab – und setzte die Arbeit ungerührt fort, als sei nichts passiert.
    Nanette genoss den Sieg des Franken, als wäre er ihr eigener gewesen. Der Respekt vor ihrem Beschützer wuchs ins Unermessliche – und damit auch jener vor ihr.
    ***
    Die Schiffe wirkten wie kleine Nussschalen inmitten des hochkochenden, brodelnden Meeres, und dennoch erwiesen sie sich als erstaunlich seetüchtig. Die Angehörigen der australischen Stationen hatten sich seit geraumer Zeit mit dem Aufbau der kleinen Flotte beschäftigt, und dank des Kartenmaterials über Wasserströmungen unter dem Eis, das Davide mit sich führte, schaffte es die Flotte, den kalbenden Gletschern und frisch hinzukommenden Eismassen zu entkommen.
    Ein von starken Dieselaggregaten angetriebener Bugbrecher bahnte ihnen den Weg durch das Eis, das sich während der Nachtstunden bildete und mit der Tageserwärmung wieder verschwand. Die Attacke einer Seerobben-Familie wurde mit Hilfe von Flammenwerfern abgewehrt, die toten Tiere in einer konzertierten Aktion gesichert, geschlachtet und für die weitere Nahrungsverwertung eingekühlt. Albatrosse mit eisenharten Schnäbeln brachten am nächsten Tag das hinterste Schiff zum Sinken; sie durchbohrten und durchschlugen den Rumpf, verbissen sich im Blech, lieferten den Menschen an Bord ein schreckliches Gefecht, steigerten sich in einen fürchterlichen Blutrausch. Nur zwei Besatzungsmitglieder konnten letztendlich gerettet werden, das sinkende Boot samt seiner Ladung musste den Vögeln überlassen werden.
    Die Tiermutationen verwunderten und erregten die Gemüter, insbesondere jene der Domländer und der Russen. Die Umgebung ihrer nunmehr aufgegebenen Stationen war während der letzten Jahrhunderte für die meisten Tierarten zu lebensfeindlich gewesen. Es hatte nur wenige Aufzeichnungen über Robbensichtungen gegeben, und einige Male hatten riesige Vogelschwärme die Dunkelheit des antarktischen Himmels durchquert.
    Was ging da draußen vor sich? Wie waren diese drastischen Mutationen entstanden? Und, die wichtigste Frage von allen: Gab es abseits der Antarktis noch weitere Überlebende der Katastrophe?
    Nanette hörte den endlosen Diskussionen nur mit halbem Ohr zu. Ihre Probleme erschienen ihr weitaus bedeutsamer und lebensnaher.
    »Wie weit ist es noch?«, fragte sie und blickte aus dem Bullauge hinaus auf den dunklen Ozean. Sterne funkelten am Himmel, ab und zu trieben Eisschollen vorbei.
    »Wir müssen uns neu orientieren«, sagte Pierre. Er schlüpfte in sein Ölgewand und versiegelte den Klebeverschluss. »Das alte Kartenmaterial hilft nur bedingt weiter.«
    »Soll das heißen, ihr habt keine Ahnung, wie es weitergehen soll?« Nanette räkelte sich auf dem Sofa und goss sich ein weiteres Glas russischen Schnapses ein, den sie aus Dankbarkeit für ihr… Entgegenkommen von einem Kerl namens Sergej erhalten hatte.
    »Davide tut sein Bestes«, verteidigte Pierre den Projektleiter. »Er sagt, dass es sehr schwierig sei, die alten Karten mit den veränderten Umständen in Einklang zubringen.«
    »Er sagt, er sagt«, äffte Nanette ihren Mann nach. »Davide ist nichts wert! Er vertraut viel zu sehr dem Wissen der Alten. Ich glaube nicht, dass er der bestmögliche Anführer ist. Was meinst du, Foufou?«
    »Er tut, was er kann«, erwiderte Pierre halbherzig. »Ich glaube schon, dass er das Richtige macht.«
    »Wäre es nicht besser, statt ihm jemanden einzusetzen, der sich seiner Sache sicher ist?«
    »Ich muss jetzt gehen«, wich ihr Mann aus. »Wir unterhalten uns, wenn ich von der Schicht zurückkehre.«
    »Ja, ja – das sagst du immer, du Waschlappen! Sei ein Mann und bezieh Stellung! Hör auf das, was dir deine Frau sagt!«
    Pierre wich geschickt ihrem geschleuderten Trinkgefäß aus, schlüpfte aus der Kabine und drängte sich am Wache stehenden Franken vorbei.
    Der Riese blickte verständnislos zwischen ihnen beiden hin und her. Nanette machte ihm ein Zeichen, dass alles in Ordnung sei, und goss sich weiteren Schnaps in ein neues Glas ein.
    Vielleicht hatte Pierre recht, vor ihr davonzulaufen. Sie trank zu viel, und dann sagte sie Dinge, die sie besser für sich behalten sollte. Doch in dem Geflecht an Beziehungen, Leidenschaften, Bettaffären und Abhängigkeiten, das sie während der letzten Jahre behutsam aufgebaut hatte, erwies sich Davide immer mehr als störender Faktor. Er kam nicht mehr unter ihre Decke, und er verweigerte ihr

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