2369 - Quartier Lemurica
einmal die Gelegenheit dazu erhalten", murmelte er schließlich. „Aber bis dahin bleibt noch viel Zeit. Du solltest mich und die anderen erfahrenen Köche tunlichst genau beobachten." Zott beugte sich zu ihm herab und flüsterte: „Aber nimm dich vor anderen Lehrlingen und jungen Priestern in Acht. Bosheit und Neid gedeihen auch im Kobel gut."
Aheun schüttelte verwirrt den Kopf. „Ich verstehe nicht, Meister. Ich dachte, dass bloß gescheiterte Existenzen zum Küchendienst abgeschoben werden. Wer sollte hier dem anderen etwas neiden?"
„Es liegt in der Natur der Raphanen, stets besser als der Nachbar sein zu wollen.
Unter uns Priestern, da es um große Machtbefugnisse geht, ist diese Eigenschaft besonders stark ausgeprägt.
Selbst wenn man zu den Verlierern im Spiel des Lebens zählt, so will man sich immer noch selbst beweisen."
„Es ist das Ordin, das uns krank macht!", rief Aheun aus. „Es verdirbt. Calazi, es verdirbt uns alle. Niemand sollte derart viel Macht in seinen Händen halten ..."
„Weißt du denn eigentlich, worin die Macht des Ordins besteht?", fragte Zott, der seinen Kopf gehoben hatte und auf mehr Distanz ging. „Darüber lehrt man kaum etwas während der Schulausbildung. Es gab lediglich Andeutungen. Wahrscheinlich wissen nicht einmal die Lehrerpriester, warum wir so privilegiert sind. Ich hasse dieses Ordin!"
Weitere Priesterköche strömten nun in den großen Saal des Kobels. Abamäus Zott blickte sich um und winkte Aheun, mit ihm zu kommen. Das Tagwerk begann. .„Du solltest nicht voreilig urteilen", sagte er, während sie nacheinander Maschineneinheiten in Betrieb stellten. „Das Ordin macht das Beste aus der Situation."
„Glaub ich nicht."
Zott lächelte und aktivierte die Nudelwälzanlage. „Auch der Küchenchef ist im Ordin vertreten, solltest du es noch nicht wissen."
Aheun wurde blass. „Aber ... aber ... „Ganz richtig. Ich rede von mir."
*
Aheuns Respekt vor Abamäus Zott wuchs während der nächsten Wochen und Monate weiter an. Der Ordin gebot nicht nur über mehrere Hundertschaften von Küchengehilfen und Köchen; auch die Feld-Robtrix, die mehr als 70 Prozent der Fläche des Quartier Lemurica bewirtschafteten, unterstanden ihm, genauso wie Kellner, Erntehelfer, Rauschmittelzüchter, Patisserie-Künstler, Hefe- und Hopfenlieferanten, Gärmeister, Sommeliers, Kartenmaler, Besteckkünstler, Glasbläser ... Ach! Es waren viel zu viele Berufsgruppen, um sie sich merken zu können. Sie alle hingen vom Wohl und Wehe Zotts ab. Und wie Aheun sehr bald feststellte, erledigte der Chef des Kobels seine Arbeit zur Zufriedenheit der meisten Priester. Natürlich entkam auch er nicht den üblichen Grabenkämpfen. Vor allem die jeweiligen Ständemeister gingen mit großer Heimtücke gegen den Ordin vor. „Wie bekommst du das alles unter einen Hut, Meister?", fragte Aheun eines Morgens. „Ich sehe dich stets als einen der Ersten in der Küche. Dann eilst du zu den Warensammelstellen, um die Frische unseres Essens zu überprüfen. Zu Mittag schmeckst du ab, erteilst mir und anderen Helfern Unterricht, um gleich danach mit aufgeblasenen Ständemeistern zu verhandeln, den Speiseplan für den nächsten Tag durchzugehen und das Abendessen vorzubereiten ..."
„Du brauchst mir meinen Tagesplan nicht vorzubeten, Aheun", unterbrach ihn Zott. „Ich kenne ihn weitaus besser als du."
„Aber wie schaffst du das alles? Tagaus und tagein, über Jahre hinweg." Aheun schaltete einen Rühr-Rbbtrix ab und übernahm die Arbeit der Maschine. Das tumbe Gerät verstand es nicht, die einzelnen Gewürze Schicht für Schicht in die Brühe einzuarbeiten, wie es sich gehörte. „Das Geheimnis ist eigentlich gar keines", sagte Abamäus Zott. Er lächelte, seine Augen verschwanden fast unter den vielen Falten in seinem Gesicht. „Du könntest dir die Frage genauso gut selbst beantworten."
„Ich verstehe nicht ..."
„Mir erging es ähnlich wie dir. Ich hatte schlechte Zensuren und kein besonderes Interesse an der Schule. Erst als ich in den Kobel versetzt wurde, erfasste ich, wie bedeutungsvoll und wie schön das Leben sein kann. Ich hielt mich bestmöglich aus den üblichen Streitereien heraus. Ich machte Karriere, weil sich meine ehrgeizigen Konkurrenten in der Küche darauf beschränkten, sich gegenseitig umzubringen. Anders gesagt: Ich war der einzige Überlebende." Zott machte sich nebenbei Notizen in einem schmalen Schreibblock. „Du erinnerst mich, wie gesagt, sehr an meine
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