2378 - Der Erste Kybernetiker
Input gaben, den die Parapositronik benötigte.
Das Ziel jahrelanger wissenschaftlicher Arbeit war erreicht; das menschliche Bewusstsein mit all seinen Fähigkeiten hatte sich mit den technischen Bestandteilen der Positronik verbunden.
Welch ein Triumph für die Kybernetik, welch ein Erfolg für ein Dutzend an dem Projekt beteiligte wissenschaftliche Disziplinen. Savoires Lebenswerk war endlich zur Erfüllung gelangt.
Und doch wünschte er sich nichts sehnlicher, als es ungeschehen zu machen.
*
„Was ist mit dir?"
Savoire hielt in seinem Gang inne und wandte unwillig den Blick. Ajit Lemarik, ein Psychologe, der seit etwa drei Jahren die Prozessoren mit Gesprächen begleitete und als ihr Ansprechpartner fungierte, streckte ihm die Hand entgegen. „Es tut mir leid, ich kann jetzt nicht. Ich melde mich bei dir, sowie es möglich ist."
Lemarik verschränkte die Arme vor der Brust und fixierte ihn aus dunklen, mandelförmigen Augen, die perfekt mit der bronzefarbenen Gesichtshaut harmonierten. Er reichte Savoire knapp bis zum Kinn, doch er verstand es, durch seine Persönlichkeit und Körpersprache zu überzeugen. „Du wirst dir eine Minute Zeit nehmen müssen. Nicht nur ich frage mich, warum du den Betrieb der Gedankenkammer gestoppt hast. Gerade jetzt, da es endlich Fortschritte zu vermelden gibt und da jeder Tag uns voranbringt, ist eine Arbeitspause unverantwortlich. Jetzt nicht weiterzuarbeiten bedeutet einen Rückschritt und wirkt sich verheerend auf die allgemeine Arbeitsmoral aus."
„Du vergisst wohl, was geschehen ist!"
Und den wahren Grund kann ich dir ohnehin nicht mitteilen. „Hast du meine Durchsage nicht gehört? Rodin Kowa ist gestorben, und er war immerhin der Leiter des Gesamtprojekts. Ich muss mich in seine Aufgaben einfinden."
Ajit Lemarik schüttelte in einer genau bemessenen Geste kaum merklich den Kopf. „Sein Tod ist bedauerlich, aber warum sollte das Projekt deswegen ruhen?
Das ist das Letzte, was er sich gewünscht hätte. Außerdem sind wir fähige Wissenschaftler. Wir können unsere Aufgaben auch ohne ihn erfüllen. Und seien wir ehrlich - bei aller gebotenen Pietät war Kowa nicht gerade ein Mann, den wir besonders vermissen werden. Du als sein Stellvertreter brauchst keine Zeit, um dich einzufinden!".
Die Kälte in dieser Aussage erschütterte Savoire, doch er verspürte nicht die geringste Lust zu diskutieren. „Du hast recht. Ich lasse den Betrieb wieder aufnehmen." Die mentale Macht musste ihn nicht einmal dazu zwingen, diese Worte zu wählen. Er hatte es ohnehin so geplant. Die Stilllegung sollte nur dazu dienen, dass er ungestört einen Selbstversuch unternehmen konnte. Das war ihm gelungen, wenn es auch zu einem äußerst unbefriedigenden Ergebnis geführt hatte. „Zufrieden?", fragte er und ließ den Kollegen stehen.
Mit weit ausholenden Schritten eilte er durch den Korridor, um zu seiner Privatwohnung zu gelangen. Als er die beiden Glastüren passierte, zwischen denen der Eingang in die Sicherheitsabteilung lag, konnte er nur den Kopf schütteln. Sie hatte nichts, aber auch gar nichts eingebracht und die verhängnisvolle Entwicklung nicht verhindern können.
Wenig später erreichte er seine Wohnung und war froh, als sich die Tür hinter ihm schloss. Er hatte befürchtet, von weiteren unliebsamen Störungen aufgehalten zu werden.
Ohne sich umzusehen, ließ er sich in den altmodischen, gepolsterten Stuhl vor seiner Kommunikationseinheit fallen.
Echte Handarbeit mit all ihren Vorzügen - und Nachteilen, die er wieder einmal zu spüren bekam: Die Federung ächzte, und die. abgewetzte Stelle in der Rückenlehne drückte unangenehm auf seine Wirbelsäule. Doch Schmerz war ein Luxus, den er sich nicht leisten konnte; nicht, solange er das Mysterium um die Verlorenen Seelen nicht gelöst hatte.
Er rief noch einmal die Totenliste auf und sortierte sie nach wechselnden Parametern.
Geschlecht, Alter, Beruf, Todesart. Er versuchte sogar anhand der ÜBSEF-Konstanten einen Zusammenhang herzustellen, eine derart absurde Vorgehensweise, wie ihm klar wurde, dass er beinahe aufgegeben hätte.
Plötzlich fiel es ihm wie Schuppen von den Augen: Astuin und Myhr standen nicht auf der Totenliste.
Sie leben also noch. Natürlich.
Da die Liste nicht auf dem allerneuesten Stand war, ließ er sie aktualisieren. Der Kybernetiker stellte mehrere geringfügig abweichende Suchanfragen, um sicherzugehen, dass er kein Detail übersah.
Die Meldung zum derzeitigen Status der beiden
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