2395 - Die Gen-Sammler
seinen festen Platz und seine unverrückbare Position.
Sichtbare Abweichungen duldete sie nicht, das ließ ihr auf Präzision geschulter Verstand nicht zu.
Kinnaird entdeckte nichts. Er aktivierte die Sensorikkonsole in der Wand, hielt nach einer kodierten Nachricht Ausschau. Fehlanzeige.
Es blieb dabei. Erilyn Shirde, seine über alles geliebte Gefährtin, war spurlos verschwunden, und niemand schien sich dafür zu interessieren.
Ich darf jetzt nicht aufgeben. Irgendwo in diesem Turm muss sie stecken.
Morian Kinnaird verließ die Wohnung und ließ sich vom Antigrav hinab zu den Labors tragen. Die Genetiker und Bioniker arbeiteten an den Proben, die die Sammler von den Tamanien mitgebracht hatten. Er eilte von einer Kammer zur nächsten, stellte den Sphero die eine Frage: „Hast du Erilyn gesehen?"
Die Antworten ernüchterten ihn. Sie hatte sich schon seit Tagen in keinem der Räume mehr aufgehalten.
Der Transfermeister machte auf dem Absatz kehrt. Wenn sie nicht hier gearbeitet hatte, wo dann? Die wenigen Stunden Freizeit hatten sie gemeinsam verbracht. Mehr wusste er nicht.
Der Gedanke an ein Geheimprojekt, von dem er nichts wusste, erschien ihm übergangslos plausibel. Es ergab allerdings nur dann einen Sinn, wenn sie selbst dahintersteckte. Andere Sphero hätten es nie gewagt, hinter seinem Rücken Projekte durchzuführen.
Der Antigrav trug ihn im Turm hinab bis zur Wasseroberfläche. Er wechselte den Schacht, durchquerte mehrere Flutsperren und erreichte wenig später den Zugang zum Hochsicherheitstrakt. Er gab seinen Kode ein, schaltete gleichzeitig die Beobachtungssysteme ab. Jetzt konnten sie drinnen nicht feststellen, wer da kam.
Morian suchte auf direktem Weg die postgenetische Sektion auf. Ein leicht herber Duft wehte ihm entgegen, für ihn Beweis genug. Sie war in den vergangenen zwei Stunden hier vorbeigekommen. Er inhalierte den Duft, der ein wenig intensiver wurde, je näher er der Schleuse kam.
Vor lauter Aufregung griff er bei der Eingabe seines Kodes mehrmals daneben.
Endlich glitten die Schotthälften auseinander. Der Sog des Desinfektors riss ihn vorwärts, dann setzte die Entkeimungsdusche ein, kombiniert mit dem Warmluftstrom. Sein dichter Haarpelz und die Kleidung trockneten schnell, aber ein Jucken im Gesicht blieb und verschwand erfahrungsgemäß erst einige Zeit späten Das Innenschott glitt auf. Grelles Licht empfing ihn. Auf einer Galerie huschten mehrere Roboter vorbei. Eine halblaute Stimme gab Daten durch - bei näherem Hinhören stellte er fest, dass es sich um Körperwerte handelte. Sie wichen deutlich von denen der Sphero ab.
Was geht hier vor?
Er sparte sich den Umweg über die Treppe, schwang sich über das Geländer auf die Galerie. Vor ihm erstreckte sich die Spektrale Genese-Sphäre, ein in sich verschlungener Komplex aus Spezialaggregaten. Viele tausend Jahre waren sie alt, fast so alt wie der Turm selbst. Sie leuchteten ein wenig dunkler, aber dennoch in allen sichtbaren Farben des Lichts.
An manchen Stellen zuckten in regelmäßigen Abständen weiße Blitze, warfen von innen so etwas wie weiße Bilder gegen die formenergetischen Wandungen. Links ähnelten sie kleinen Werkstücken, in der Mitte eher Konglomeraten ohne sinnvolle Form.
Rechts erinnerten die Weißwürfe an Rümpfe mit Extremitäten. Lebewesen?
Morian sah Dutzende von Androiden an gigantischen Kontrollpulten arbeiten.
Zwischen ihnen stand klein und verkrümmt eine einzelne Sphero-Gestalt in einem langen blauen Mantel.
Er erkannte sie sofort an ihrem Haupthaar, das links und rechts nach oben stand, exakt parallel zu den spitz zulaufenden Ohren.
Ein harmonisches Bild. Ihre nervösen Bewegungen standen allerdings in krassem Gegensatz dazu. „Stör uns bitte nicht", erklang es aus einem Akustikfeld dicht vor seinem Kopf. „Wir befinden uns in der entscheidenden Phase."
Die Weißwürfe hatten inzwischen das Ende der Sphäre erreicht, wo die Spektralen Aggregate sich durch die Wand in die Nachbarsphäre zwängten.
Gleichzeitig entmaterialisierte das gesamte Ensemble mit den Kontrollpulten und den Lebewesen. Es wurde still in der Sphäre.
Morian Kinnaird blieb verdutzt stehen.
Erilyn hatte ihn bemerkt und abgefertigt.
Er erinnerte sich nicht, dass sie das in all den Jahren schon einmal getan hatte. Was sie immer hier unten schuf, es musste für die Sphero und ihre Zukunft von ungeheurer Wichtigkeit sein.
Der Transfermeister blieb stehen und verbrachte die Zeit des Wartens mit geschlossenen
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