24 - Ardistan und Dschinnistan I
zum Sahahr niederbeugen; da öffnete dieser die Augen, richtete sich in sitzende Stellung auf, streckte dem Dschirbani beide Hände mit weit ausgespreizten Fingern entgegen und rief ihm im Ton höchsten Abscheus zu:
„Zurück mit dir! Rühre mich nicht an! Du bist verflucht!“
Da richtete sich der Dschirbani empor und antwortete trotz der Beleidigung im ruhigsten Ton:
„Es gibt außer mir hier keinen, der solche Verletzungen richtig zu behandeln versteht. Wirst du aber schlecht verbunden, so tritt Brand und Gift hinzu, und du mußt sterben!“
„So sterbe ich!“ schrie der Sahahr. „Fort, fort! Laß deine Hand von mir! Ich habe mit dir, dem Räudigen und Wahnsinnigen, nichts zu schaffen!“
Der Dschirbani steckte den Bast wieder zu sich und ging, ich mit ihm.
„Schrecklich!“ rang es sich über meine Lippen. Ich wollte schweigen, doch konnte ich nicht. Dieses eine Wort wenigstens mußte ich sagen. Dieser Haß war nicht nur abstoßend häßlich, sondern geradezu unnatürlich. Aber der von seinem Großvater abgewiesene Enkel belehrte mich:
„Nicht schrecklich ist es, sondern im Gegenteil ganz natürlich. Er leidet an dem Selbstbetrug, daß ich verwandt mit ihm sei. Nun weißt du aber bereits: wer die Lügen seiner Einbildung für Wahrheit hält, ist wahnsinnig. Nicht also ich bin irr im Kopf, sondern er ist geisteskrank. Was noch gesund in ihm ist, bäumt sich gegen diese Lüge auf, und es ist nur eine Folge seines Wahnsinnes, daß er diesen berechtigten Widerspruch in Haß und Empörung kleidet. Es wäre ungerecht, ihn wegen dieses Hasses nun gleich für einen bösen Menschen oder gar für einen unwürdigen Zauberpriester zu halten. Sein Haß entflammt dem Wahn; sein Glaube an Gott aber ist echt und wahr und frei von jeder Lüge. Ich bitte dich, ihn zu achten!“
Wir hatten jetzt den Kanal erreicht. Da brachte man ein Floß gerudert. Es hatte in der Nähe gelegen und war vom Scheik herbeibeordert worden, um den verwundeten Sahahr nach seiner Wohnung zu schaffen. Das benutzte der Dschirbani, um über das Wasser hinüberzukommen. Sobald das Floß angelegt hatte, bestieg er es. Aber der Ruderer stieß einen Schrei des Schrecks aus und sprang an das Land, damit ihn der ‚Räudige‘ nicht berühre. Dieser achtete gar nicht hierauf, sondern richtete seine Aufmerksamkeit nur auf mich.
„Ich bedanke mich jetzt nicht bei dir, Ssahib“, sprach er. „Wer derart handelt, wie du an mir gehandelt hast, dem sagt man nicht Dank, sondern man lebt ihm Dank. Auch gebe ich dir nicht die Hand, um deinetwillen. Man würde sich scheuen, dich zu berühren!“
Hierauf trieb er durch einen kräftigen Fußtritt gegen das diesseitige Ufer das Floß nach dem jenseitigen hinüber, stieg aus, stieß es wieder herüber und ging von dannen, langsam, ruhigen Schrittes, hoch aufgerichtet wie ein Herrschender, ohne nach rechts oder links zu schauen. Es schien die Menschen, die ihm, sobald er sich ihnen näherte, schleunigst Platz machten, indem sie vor ihm wie vor einem durch und durch Aussätzigen auseinanderprallten, gar nicht zu bemerken. Hier und da aber war es, als ob ihm nicht aus Furcht oder Scheu, sondern aus Ehrerbietung Platz gemacht werde. Ich glaubte, dies deutlich zu sehen; es fiel mir auf.
Nicht weniger auffällig war das allgemeine Schweigen, mit dem man seine Befreiung entgegengenommen hatte. Wie gefährlich die Hunde gewesen waren, zeigte die Verletzung ihres eigenen Herrn. Anderwärts hätte man den waffenlosen Sieg über sie wahrscheinlich mit lautem oder gar stürmischem Beifall begrüßt. Hier hatte man nicht ein einziges Wort, einen einzigen Ruf gehört. Diese Stille beim glücklichen Erfolg stach ganz ungemein gegen die vielen lauten und wohlgemeinten Zurufe ab, mit denen ich vorher gewarnt worden war, das Wagnis zu unternehmen. Welchen Grund das hatte, konnte ich mir wohl denken. Nun der Dschirbani seine Freiheit zurückerhalten hatte, lag es wieder wie ein Alp auf dem ganzen Volk, und da sich dieses vor der Ansteckung fürchtete, nahm es das, was ich getan hatte, nicht als Wohltat, sondern als etwas geradezu Gegenteiliges auf. Ich, der ihnen bisher sosehr Willkommene, hatte ihnen gleich bei meinem ersten Schritt in die Stadt etwas außerordentlich Störendes und Unwillkommenes aufgezwungen. Daher die allgemeine Lautlosigkeit, die man wohl am besten als ‚Stille der Verlegenheit‘ bezeichnen kann. Denn daß es eine Verlegenheit nicht nur der einzelnen Person, sondern auch großer Menschenmassen gibt,
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