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24 - Ardistan und Dschinnistan I

24 - Ardistan und Dschinnistan I

Titel: 24 - Ardistan und Dschinnistan I Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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die anfangs ganz unartikuliert erschienen, dann aber deutlicher und immer deutlicher wurden. Bei jeder Pause, die er machte, sah er mich an, als ob er fragen wolle: „Hast du es gehört?“ Nun sprach ich auf ihn ein. Er schwieg und hörte mich an. Dann antwortete er, indem er weiterheulte. Sobald er fertig war, begann wieder ich, und dann auch wieder er. So sprachen wir miteinander, er heulend und ich begütigend. Er verstand weder meine noch ich seine Sprache, aber in den Tönen lag etwas, was nicht durch Worte ausgedrückt werden konnte. Ich kniete zu ihm nieder und wagte es, ihm den Kopf mit der Hand zu streicheln. Er duldete es. Ich klopfte ihn zärtlich. Ich strich ihm über den Rücken. Das nahm er mit großem Behagen hin. Als ich mich dann wieder erhob, stand auch er auf und schob mir seine Schnauze in die Hand, um sich weitere Liebkosungen zu erbitten. Als das der andere sah, stellte er sein Jammern ein und verließ seinen Platz, doch nicht etwa, um weiter zu fliehen, sondern um sich mir zu nähern. Das geschah langsam und zagend, so ungefähr wie bei einem gutherzigen Knaben, der bestraft worden ist und sich dann nach und nach wieder an den Vater heranzuschlängeln sucht. Ich unterstützte diese seine erfreuliche Taktik dadurch, daß ich meine Zärtlichkeiten gegen seinen Gefährten fortsetzte und ihm dann mit diesem gar entgegenkam. Der Erfolg war, daß ich schließlich zwischen beiden Hunden stand und ihnen die dicken, nie gekämmten Felle derart klopfte und zauste, daß sie vor Wonne stöhnten. Ich versuchte nun, hin und her zu gehen. Sie gingen mit. Wenn ich umkehrte, taten sie es auch. Da wandte ich mich weiter, rund um den ganzen Stachelzwinger herum. Sie folgten mir. Ihre Augen waren mild und freundlich. Von der früheren Menschenfeindlichkeit gab es keine Spur mehr. Als ich dann von der andern Seite nach der Tür zurückkehrte, an welcher der Dschirbani stand, verhielten sie sich so gleichgültig, als ob sie das, was vorher ihre Pflicht gewesen war vollständig vergessen hätten. Ich zog den Riegel weg, um die Tür zu öffnen.
    „Darfst du das wagen?“ fragte der Dschirbani.
    „Ja, komm!“ antwortete ich, indem ich, um ihm Platz zu machen, zurücktrat.
    Die Hunde standen rechts und links von mir, ganz eng an mich gedrückt. Ich war so vorsichtig, jeden von ihnen fest an einem Ohr zu halten.
    „Auf dein Wort hin will ich es tun, Ssahib (Herr)!“ sagte er.
    Bei diesen Worten stieß er die Türe auf und trat heraus. Hierbei öffneten sich die unteren Säume seines Haïk, und ich sah, daß er unter demselben die eigentliche, lederne Kleidung trug. Auch die stiefelartige Fußbekleidung war von Leder, nicht von Bast, wie bei den meisten anderen Ussul. Die Hunde sahen zu ihm auf, ohne ein Zeichen des Hasses oder des Zornes. Auch ich schaute zu ihm auf, ja wirklich, zu ihm auf. Denn er überragte mich nach allen Dimensionen, in der Stärke, in der Höhe, in der Breite. Was war das für ein Mensch! Wie hehr, wie stolz, wie schön! Mir war, als ob in diesem Augenblick seine Seele hinter ihm stehe, ihm unbewußt, und mir zurufe: „Schau her, und liebe ihn; er ist von königlichem Geschlecht!“ Bis jetzt war der Zaun, war die Pforte zwischen uns gewesen. Wir standen uns nun also zum ersten Mal ohne Hindernis gegenüber. Der erste Blick, den er frei auf mich richten konnte, war lang, erwartungsvoll und forschend. Dann ging es wie ein warmer, verklärender Sonnenschein über sein Gesicht, und er sagte:
    „Du bist nicht aus diesem Land, sondern ein Fremder. Und du bist edel, gut und tapfer. Als ich dich da draußen vor dem berüchtigten Zwinger halten sah, bevor du abgestiegen warst, dein Pferd viel kleiner als die unsrigen, aber unendlich feiner und edler, und auch du um so viel kleiner als ich, aber um so sicherer im Sattel und um so geistiger in allem, was du tust, da kamst du mir vor wie eine Vision, die mir der Himmel sendet. Weißt du, was eine Vision ist?“
    „Ja“, antwortete ich.
    „Und weißt du, daß man mich den Wahnsinnigen nennt?“
    „Ja.“
    „Der Mensch, der Visionen hat, ist von Gott begnadet. So lange er dies weiß, bringt er der Menschheit Segen, man mag an ihn glauben oder nicht. Sobald er dies vergißt, ist er wahnsinnig geworden und gleicht nur noch einer Vision, die nicht in Erfüllung geht.“
    „Woher weißt du das?“ fragte ich erstaunt.
    „Es steht in meinem Buch hier.“
    Er deutete auf die Mitte der Brust, etwas unterhalb des Halses, wo man das ‚Hamaïl‘ zu

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