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24 - Ardistan und Dschinnistan I

24 - Ardistan und Dschinnistan I

Titel: 24 - Ardistan und Dschinnistan I Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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verschweigen, daß der Haß des Sahahr viel mehr auf Irrsinn deutet als das klare, gütige und so gar nicht rachgierige Benehmen seines Enkels. Wenn der letztere zu mir sagte: ‚Nicht also ich bin irr im Kopf, sondern er ist geisteskrank‘, so möchte ich ihm wohl nicht ganz unrecht geben.“
    „Wie sonderbar! Auch seine eigene Frau hält ihn zuweilen für geistig irr!“
    „Wessen Frau?“
    „Des Zauberers Frau. Haben wir noch nicht von ihr gesprochen?“
    „Nein, ich erfahre erst in diesem Augenblicke, daß er eine Frau hat.“
    „Und zwar eine, die bedeutender ist als er. Sie ragt hoch über ihn empor. Ich möchte sagen, daß sie die Seele, er aber nur der Körper ist. Ich verkehre viel mit ihr. Du wirst sie kennenlernen, vielleicht sogar schon heute. Aber sag, was schaust du so erstaunt um dich?“
    Diese Frage bezog sich auf eine Beobachtung, die ich erst jetzt machte, weil wir nun in das Innere der Stadt, in ihre bewohnte Gegend gekommen waren. Hier wurde der Weg, den wir ritten, viel breiter als bisher; zuweilen hörten die Kanäle auf, und es gab freie Plätze, an denen die Wohngebäude der Reichen und Vornehmen standen. Hier hatten sich viel mehr Menschen aufgestellt als bisher, und unter ihnen bemerkte ich auffallend viel Verletzte, Verunstaltete und Krüppel, die, wenn sie auch nicht zusammen, sondern allein standen, doch infolge einiger Eigentümlichkeiten ihrer Kleidung als zusammengehörig erschienen. Sie hatten nämlich alle sehr hohe, lederne Stiefel an, die denen unserer Kürassiere und Gardereiter glichen. An diesen Stiefeln steckten ungeheure Reitsporen mit riesigen Rädern, die bei jedem Schritte laut klirrten, und darauf schienen diese armen Leute außerordentlich stolz zu sein. Auf dem Rücken trug jeder von ihnen einen schwer gefüllten, rucksackähnlichen Ranzen aus Hundefell. Den Inhalt konnte man nicht sehen. Hierzu kamen zwei eiserne Nachbildungen von Kanonenrohren, auf jeder Achsel eines, natürlich in verkleinertem Maßstabe. Die Rohre hatten etwas mehr als die Länge der Achselbreite. Sie ragten also noch ein wenig über die Schultern hinaus, was der betreffenden Person den Ausdruck größerer Körperentwicklung und Kraft verlieh. Man hat sich diesen Schmuck oder diese Auszeichnung so ungefähr als Achselklappe oder Epaulette zu denken, unter der auf der linken Seite in heller Schrift ‚Wir sterben für‘ und auf der rechten Seite ‚den Mir von Ardistan‘ zu lesen war. Wie ich später sah, gab es nicht nur solche eiserne, sondern auch versilberte und sogar vergoldete Kanonenrohre, je nach der Höhe des Ranges, den diese Leute auf der Stufenreihe ihrer öffentlichen Geltung einnahmen. Alle, die ich während unseres Einzugs hier stehen sah, hatten ein sehr hilfsbedürftiges Aussehen. Dennoch hielt ich sie nicht für gewöhnliche Krüppel, sondern für eine Art von Kriegsinvaliden, die es verdienten, daß man sie achtete. Darum widmete ich ihnen im Vorüberreiten meine besondere Aufmerksamkeit, die von der Frau des Scheiks bemerkt worden war. Daher ihre Frage, warum ich so um mich schaue.
    „Dir scheinen unsere Soldaten aufzufallen“, fuhr sie fort.
    „Soldaten?“ fragte ich. „Du meinst Veteranen, die Gebrechlichen, die Siechen, die Verabschiedeten?“
    „O nein! Sie sind Soldaten, wirklich Soldaten!“
    „Das heißt, sie sind nicht als invalid zu betrachten? Sie kämpfen noch?“
    „Ja, sobald ein Krieg entsteht. Dazu sind sie da. Sie sind es auch, welche das eigentliche Heer bilden werden, wenn es soweit kommt, daß wir den Tschoban entgegenziehen.“
    „Und so sind sie es wohl auch, die euch verteidigt haben, so oft ihr von den Tschoban belagert wurdet?“
    „Gewiß! Auch das waren sie! Sie sind ja für nichts anderes zu brauchen!“
    „So! Hm! – Für nichts anderes zu brauchen! Bei euch nimmt man also zum Kriegführen nur Leute, die sonst unbrauchbar sind?“
    „Natürlich! Ist das etwa bei euch anders?“
    „Ja! Da sucht man grad die besten, die kräftigsten, die gesündesten heraus!“
    „Wie schade, jammerschade! Ich habe geglaubt, daß bei euch alles so klug, so weise, so wohlüberlegt gehandhabt wird, und nun erfahre ich von dir gerade das Gegenteil!“
    „Kannst du mir beweisen, daß ihr in dieser Sache mehr Klugheit und mehr Überlegung zeigt als wir?“
    „Ja! Sofort!“
    „So tue es!“
    „Sehr gern! Du weißt, es gibt Krieg, und es gibt Frieden. Welches von beiden ist der natürliche Zustand, den Gott will und den auch wir wollen?“
    „Der

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