24 - Ardistan und Dschinnistan I
tragen pflegt. Es war also anzunehmen, daß dort das Buch unter seinem Haïk hing. Dann fuhr er fort:
„Als ich dich sah, war es mir in meiner Vision, als ob du, der scheinbar Kleinere zu mir, dem scheinbar Größeren, herniederkämest von den Sternen, den scheinbar kleinen, die aber immer größer werden, je mehr man sich ihnen nähert. Ich sah es dir sofort an, daß du gekommen seist, mich zu befreien, und daß dir das, was jeder andere für unmöglich halten muß, wie spielend, kinderleicht glücken werde. Dann, als die Vision vorüber war und mein Auge zur Wirklichkeit zurückkehrte, sah ich in dir nur noch den Menschen und hatte Angst um dich. Es ist gelungen! Aber wie! Ohne alle Waffen! Ohne jede Strenge! Und in so kurzer Zeit! Ssahib, ich bitte dich, mir doch zu sagen, wie das alles geschehen konnte!“
„Denke nach!“ antwortete ich. „Die Lösung ist sehr einfach. Ich möchte, daß du sie ohne meine Hilfe findest.“
Er sah mir einige Augenblicke lang in das Gesicht, wie um nach den Gründen dieser meiner Antwort zu suchen. Dann sagte er:
„Ich danke dir! Du handelst richtig. Was der Mensch sich durch eigenes Nachdenken verdienen kann, das soll er sich nicht schenken lassen! Ich frage dich nicht, wer du bist und woher du kommst. Aber eines möchte ich wissen: Wo wirst du wohnen?“
„Wahrscheinlich beim Scheik, denn ich bin sein Gast.“
„So trennen wir uns jetzt. Aber wünschest du, daß ich dich wiedersehe?“
„Von Herzen!“
„Ich ebenso. Kannst du nach meiner Insel der Heiden kommen?“
„Ja. Ich komme sehr gern. Aber wann?“
„Morgen früh, um die Mitte des Vormittags. Ich werde dort auf dich warten.“
„Muß ich allein kommen? Oder darf ich meinen Begleiter mitbringen?“
„Den kleinen Mann, der dein Pferd hält?“
„Ja. Er ist mein Vertrauter. Ich habe ihn lieb.“
„So bringe ihn mit, aber nur ihn allein. Nun laß mich gehen!“
Wir wandten uns der Tür des äußeren Zaunes zu. Ich wollte die Hunde innen zurücklassen und die Tür dann von außen verriegeln. Aber als sie meine Absicht bemerkten, drängten sie sich mit aller Gewalt heraus, so daß ich es nicht verhindern konnte. Das hätte mir Sorge machen müssen, denn jetzt, wo sie losgelassen waren, konnte ihre Wildheit ungeheuren Schaden anrichten. Aber es war nicht die geringste Spur von Gefährlichkeit mehr zu sehen, und sie zeigten so wenig Lust, von mir wegzugehen, daß ich ihrer vollständig sicher zu sein glaubte. Ich hielt nur höchstens das eine für nötig, sie wieder, wie vorhin, an den Ohren zu halten, und das ließen sie sich gerne gefallen. Jetzt versuchte auch der Dschirbani, sie zu liebkosen. Sie duldeten es nicht nur, sondern sie sahen dankbar zu ihm auf, und dabei gewannen ihre Augen einen rührend treuen und ehrlichen Ausdruck, der nicht die entfernteste Ähnlichkeit mit dem früheren hatte. Da sagte er:
„Und solche Tiere zu verderben, gibt sich der Mensch so große Mühe! Wer steht da höher, er oder sie! Komm Ssahib!“
Wir gingen zunächst dorthin, wo Halef mit den Pferden hielt. Er war abgestiegen. Der Dschirbani blieb stehen, schaute ihm in das Gesicht und sprach:
„Ja, den bring mit, morgen, wenn du kommst!“
Dann betrachtete er die Pferde, still, lange Zeit und aufmerksam, mit bewundernden Blicken.
„Gefallen Sie dir?“ fragte Halef, der es nicht über sich brachte, hierzu so lange zu schweigen.
Der Dschirbani lächelte zu dieser Frage, antwortete aber doch:
„Sie stammen nicht aus diesem plumpen Land. Sie gehören zur Vision. Welch ein Glück für uns, wenn sie zur Wahrheit werden könnte!“
Wir gingen weiter, dem Kanal zu. Wir mußten an der Stelle vorüber, an welcher der Sahahr lag. Er hielt die Augen geschlossen. Den bei ihm befindlichen Männern war es noch nicht gelungen, das Blut zu stillen. Der Dschirbani trat hinzu; ich folgte ihm. Da sprangen sie auf und wichen zurück, um aus der Nähe des ‚Räudigen‘ zu kommen. Man hatte die Kleidung des Sahahrs aufgeschnitten, und nun zeigte sich uns die Wunde; sie sah gefährlich aus. Der untere Teil des Oberschenkels war zerfleischt und die Kniescheibe zerknirscht und zermalmt. Der Dschirbani griff in seinen Haïk, zog ein Päckchen sehr breiten Bastes aus der Tasche und sagte:
„Wenn diese Wunde nicht sehr sorgfältig behandelt wird, muß er an ihr sterben. Ich werde ihn verbinden.“
„Verstehst du das?“ fragte ich.
„Mein Vater war der berühmteste Arzt, den es gab. Ich bin sein Schüler.“
Er wollte sich
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