24 - Ardistan und Dschinnistan I
er sich befand, den Flugsand fortzustäuben. Nachdem er eine ziemliche Stelle freigelegt hatte, erklärte er:
„Hier ist nichts. Ich werde es also drüben auf der rechten Seite versuchen.“
Er ging hinüber. Der Engel stand nicht, wie der Hadschi von weitem gemeint hatte, auf einem Postament von mehreren Felsentrümmern, sondern auf einem einzigen, kompakten, riesigen Block. Nur infolge der Bäume hatte es aus der Entfernung den Anschein gehabt, als ob dieser Block geteilt sei. Die Figur des Engels war nicht etwa nach ihrer Anfertigung auf den Felsen gestellt worden, sondern sie gehörte zu ihm; sie war sein oberster Teil; sie bildete mit ihm ein Ganzes. Der untere Teil, das Postament, war breiter als der obere. Als ich dann selbst hinaufstieg, sah ich, daß hier künstlich nachgeholfen und mittels Werkzeugen eine ebene Fläche gebildet worden war, auf die sich das breite, faltige Gewand des Engels stützte, ohne daß die Füße aus demselben hervortraten. Kaum hatte Halef angefangen, in der Nähe der äußersten rechten Falte des Gewandes die Sanddecke zu entfernen, so hielt er wieder inne, bückte sich zum Boden nieder, betrachtete ihn und rief:
„Hier ist etwas, Sihdi! Etwas, was von Menschen stammt, nicht von der Natur.“
„Was?“ fragte ich.
„Eine Figur mit drei Spitzen.“
„Was für eine Figur und was für Spitzen?“
„Frag doch nicht so unklug, Sihdi! Es ist eine Figur mit drei Spitzen! Anders kann ich es doch nicht sagen!“
„Aber die Figur muß doch eine Gestalt haben!“
„Nein. Sie hat keine Gestalt, sondern nur die drei Spitzen!“
„Sonderbar! Warte! Ich komme selbst hinauf!“
„So komm! Aber du wirst es auch nicht anders finden, als ich es gefunden habe!“
Ich sprang aus dem Sattel und stieg in derselben Weise hinauf, wie Halef hinaufgestiegen war. Als ich zu ihm getreten war und die Stelle sah, die er meinte, mußte ich lachen.
„Da sagt man doch nicht, das ist eine Figur mit drei Spitzen!“ verbesserte ich ihn.
„Wie denn?“ fragte er.
„Man sagt sehr einfach, das ist ein Dreieck!“
„So! Ein Dreieck! Ich ahne schon! Da willst du mir wieder einmal mit irgendeiner Wissenschaft kommen! Wie heißt sie? Sprich?“
„Um El mesacha (Geometrie).“
„So? Also Um El mesacha? Bilde dir ja nicht ein, daß du stolz auf diese deine Mesacha sein darfst! Es geht dir mit ihr nicht besser, als mit allen deinen andern Wissenschaften, die gar keine Wissenschaften sind, sondern denen, die sich mit ihnen befassen, nur die Köpfe und den Verstand verdrehen. Schau dir den Stein hier an! Ist das, was du da siehst, eine Figur oder keine?“
„Es ist eine“, antwortete ich, innerlich belustigt.
„Also habe ich recht! Ferner: Wieviel Ecken hat sie? Etwa vier oder fünf?“
„Nur drei.“
„Also habe ich recht! Ferner: Sind diese Ecken etwa rund?“
„Nein.“
„Sondern wie?“
„Spitz.“
„Also habe ich recht! Ich wiederhole infolgedessen mit allergrößter Feierlichkeit: Eine Figur mit drei Spitzen! Du siehst also, wie schlimm es um deine Wissenschaften steht. Sie sind mir vollständig gleichgültig! Auch diese lächerliche Um El mesacha, die nicht einmal weiß, daß jede Ecke spitz verläuft! Aber der Klügere ist immer auch der Noblere. Ich will mich also zu deiner Ausdrucksweise herablassen und mich so stellen, als ob wir hier nicht eine Figur mit drei Spitzen, sondern ein Dreieck vor uns hätten, und frage dich, von wem dieses Dreieck stammt.“
„Das werden wir sehr bald erfahren.“
Indem ich dieses sagte, kniete ich nieder, um die Figur genau zu betrachten. Das Dreieck war vertieft, sein Inneres aber wieder als Relief behandelt. Die Vertiefung war mit feinstem, mehligem Flugsand ausgefüllt, welchen der nächtliche Tau in eine Kruste verwandelt hatte, die man nicht einfach durch Fortblasen entfernen konnte. Ich mußte die Spitze des Messers zu Hilfe nehmen, und indem ich dies tat, trat der Inhalt des Dreieckes immer deutlicher als ein Auge hervor, ungefähr in der Weise, wie es als Symbol Gottes, des Vaters, gebraucht zu werden pflegt, nur daß an dem, welches ich hier vor mir hatte, auch die oberen und unteren Wimpernhärchen angebracht waren, und zwar in einer Anordnung und Feinheit, durch welche der Bildner dieses Symbols als Künstler erschien.
„Ein Auge!“ rief Halef aus. „Ein richtiges, wirkliches Auge! Ich frage dich, was es sagen soll? Was hat es zu bedeuten!“
„Wie ich von Sitara her weiß, ist dieses Auge das Handzeichen und Siegel
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