24 - Ardistan und Dschinnistan I
inmitten der Wüste hatte eine Form, aus der sich leicht ein Engel hauen ließ. Man tat dies, allerdings nur in der rohen, kunstlosen Weise, die du vor dir siehst. Wir stehen wahrscheinlich an einem uralten Brunnen, der aber nur für Freunde war; der Weg zum Wasser wurde verborgen gehalten.“
„Und du willst ihn finden? So schnell? Nach so langer, langer Zeit?“
„Vielleicht habe ich ihn schon!“
„Oho!“
„Jawohl! Der Eingang zum Wasser kann nicht in der Ferne, sondern muß hier in der Nähe sein. Er ist nicht offen, sondern verborgen, verdeckt. Es gibt ein Loch, welches hinabführt, mit einem Deckel darauf. Wenn dieses Loch im Sand oder im Gras läge, würde sich seine Form und seine Stelle trotz des Deckels abzeichnen, infolge der Feuchtigkeit, welche den Deckel von unten herauf direkt berührt. Siehst du eine solche Stelle?“
„Nein.“
„Ich auch nicht.“
„So liegt diese Stelle nicht im Sand und nicht im Gras, sondern im Gesträuch.“
„Nein. So sehr viele Büsche gibt es hier nicht, daß man ein Wasserloch zwischen ihnen verbergen könnte. Und zu denken, daß man es mit Erde bedeckt und auf diese Erde dann Sträucher gepflanzt habe, wäre ganz und gar verfehlt, weil jeder Gang zum Wasser diese Sträucher töten würde, und dann wäre das Geheimnis verraten. Bleibt also nur noch der Stein selbst.“
„Wie? Du meinst, im Felsen selbst sei der Weg zum Wasser hinab?“
„Ja, ganz unbedingt.“
„So muß ich gleich suchen!“
„Unten herum?“
„Natürlich!“
„Würde vergeblich sein. Das Loch ist oben.“
„Maschallah! Bist du allwissend?“
„Nein. Aber ich öffne die Augen, und ich denke nach. Wäre das Loch in die Seiten des Felsens gehauen, so würde sich die Decke desselben gewiß auf irgendeine Weise verraten. Man hat es also da angebracht, wohin das Auge nicht dringt, und das ist oben auf der Höhe des Blockes, auf dem der Engel steht. Es scheint, man kann nicht hinauf; aber in die hintere, linke Kante sind Vertiefungen gehauen, von denen ich annehme, daß sie für die Fußspitzen und Finger bestimmt worden sind. Traust du dir zu, da hinaufzuklettern?“
„Aber gewiß! Paß auf, wie schnell das geht!“
Er ging nach der angegebenen Stelle, griff sich sehr leicht an der Kante empor, sah sich oben um und sagte dann:
„Auch da ist nichts zu sehen, am allerwenigsten aber ein Loch!“
„Das habe ich gar nicht anders erwartet. Oder meinst du, daß man so töricht gewesen sei, das Loch zu einem verborgenen Brunnen offenzulassen?“
„Aber ich sehe auch keinen Deckel!“
„Wenn der Deckel so dumm gearbeitet wäre, daß man ihn sofort sieht, so hätte man das Loch doch lieber gleich offenlassen können! Wahrscheinlich ist die Fläche da oben, auf der du stehst, mit Flugsand überweht?“
„Ja, das ist sie.“
„Sehr hoch?“
Halef bückte sich, um zu probieren, und antwortete dann:
„Fast einen ganzen Finger hoch.“
„Und ist dieser Flugsand unberührt?“
„Ja. Es gibt einige Spuren von Vogelfüßen, weiter nichts.“
„So ist höchstwahrscheinlich niemand da oben gewesen, seit der Dschinnistani seine Frau holte und sich hier mit Wasser versorgte. Es steht zu erwarten, daß die Brunnenöffnung sich an einer der Seiten des Steines befindet, nicht aber in der Mitte, also entweder rechts oder links.“
„Warum nicht in der Mitte? Ich hätte grad das gedacht!“
„Weil es sich hier ganz unmöglich um einen Ziehbrunnen, sondern einzig nur um einen Steigbrunnen handeln kann. Es führen also Stufen hinab. Stufen aber brauchen Platz. Sie gehen nicht senkrecht, sondern schief nach unten. Führen sie von rechts nach links, so ist das Loch auf der rechten Seite des Felsens zu suchen. Führen sie von links nach rechts hinab, so liegt es auf der linken Seite. In der Mitte würde es nur dann sein, wenn die Stufen gerade und senkrecht nach unten gingen, was ich aber für ausgeschlossen halte. In diesem Fall würde es sich nicht um eine Treppe mit Stufen, sondern um eine sogenannte ‚Fahrt‘, also um eine Leiter mit Sprossen handeln, und das wäre ganz und gar gegen die Gewohnheiten derer, von denen vor vielen Jahrhunderten dieser Brunnen angelegt worden ist.“
„Du meinst also, daß ich zunächst nur an den Seiten suche?“
„Ja.“
„Gut! Also zunächst hier links.“
Halef war an der linken Seite des Felsens emporgeklettert. Er stand noch dort. Jetzt band er sich seinen Schal von den Hüften, legte ihn mehrfach zusammen und begann an der Stelle, wo
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