24 - Ardistan und Dschinnistan I
Riemen entzwei, mit welchem Hadschi Halef gebunden worden war. Dieser sprang sofort vergnügt in die Höhe, warf die frei gewordenen Arme in die Luft und rief jubelnd aus:
„Allah sei Lob, und dir sei Dank gesagt, Effendi, daß ich wieder im Besitz meiner Hände bin! Du wirst gleich sehen, was ich tue.“
Er nahm meinen schweren Bärentöter vom Boden auf, richtete ihn auf den Mann, der im Vorderteil ruderte, und rief ihm zu:
„Leg das Ruder herein, und mach dich von dannen, sonst schieß ich dich augenblicklich tot!“
Dieser Mann war ein Riese und Halef gegen ihn ein Zwerg. Aber der auf ihn gerichteten Kugelmündung widerstand er nicht. Er zog gehorsam das Ruder ein und sprang über Bord. Der Hadschi richtete den Lauf nun auch auf den Mann, der im Hinterteil saß. Dieser wartete den Befehl des Kleinen gar nicht erst ab. Er riß das Ruder herein, ließ es fallen und sprang hinaus in die Flut.
„Sind das Helden!“ lachte Halef, indem er das Gewehr wieder von sich legte.
„Vor allen Dingen weg von ihnen!“ warnte ich, indem ich das eine Ruder ergriff und Halef durch einen Wink aufforderte, das andere zu nehmen.
Ich wollte, daß die drei Ussul das Boot nicht wieder betreten, sondern im Wasser bleiben sollten. Das Boot hatte durch den Schwung, mit dem der Zauberer herausbefördert worden war, einen Stoß erhalten, der es von der Stelle trieb. Wir bemühten uns jetzt, diese Entfernung noch zu vergrößern. Die Ussul erwiesen sich als sehr gewandte Schwimmer. Sie wollten außerdem auch noch die Kraft des Pferdes zu Hilfe nehmen. Der Zauberer bemühte sich, ihm auf den Rücken zu steigen, und die beiden Ruderer trachteten danach, die Enden des Zügelstrickes zu fassen. Aber der ‚Dicke‘ wehrte sich. Er schlug und biß nach ihnen und strampelte das Wasser derart zu Gischt und Schaum, daß man meinen konnte, ein Okeanidenbild aus der griechischen Mythologie vor sich zu haben.
„Das ist ein großartiges Vieh, dieses Pferd!“ ließ sich Halef hören. „Wo hast du es her, Sihdi? Das möchte ich hören!“
„Zu hören, wie du in dieses vorweltliche Boot gekommen bist, ist noch viel wichtiger“, antwortete ich.
„Kannst du mir nicht erlassen, es dir zu erzählen, Sihdi?“ fragte er.
„Nein.“
„So erlaube, daß ich dich dabei nicht anzusehen brauche! Denn ich schäme mich!“
„Ah? Wirklich?“
„Ja!“
Da draußen auf dem Wasser plagten sich die drei Ussul noch mit dem Pferd herum. Ich saß, das Ruder in der Hand, an dem einen Ende des Kahns, Halef am andern. Er sah vor sich nieder, warf dann mit einer energischen Bewegung den Kopf nach hinten und sprach:
„Es hilft nichts! Ich kann nicht anders; ich muß es eingestehen! Sihdi, ich bin ein Schaf, ein Ochse, ein Kamel, kurz, ein Dummkopf, wie es gar keinen größeren geben kann!“
Er machte eine Pause, die ich dazu benützte, ihn zu fragen:
„Ist das wirklich deine Ansicht?“
„Nicht nur meine Ansicht, sondern sogar meine felsenfeste Überzeugung! Sie gefällt dir wohl nicht?“
„O doch! Sogar sehr! Aber vorher dachtest du doch wohl anders?“
„Allerdings! Sihdi, mein lieber Sihdi, ich sage dir: Es gibt Augenblicke, in denen ich mich für den klügsten und vortrefflichsten Menschen halte, den Allah in seiner Güte erschaffen hat. Und es gibt wieder andere Augenblicke, in denen ich darauf schwören kann, daß ich der dümmste Mensch der ganzen Erde bin. Glaubst du das?“
„Ich glaube es, denn jeder noch nicht vollständig ausgereifte Mensch hat derartige Augenblicke. Worauf schwörst du denn wohl jetzt? Etwa auf die Klugheit?“
„Nein, sondern auf die Dummheit.“
„Das freut mich, Halef! Das freut mich ungemein!“
„Wie, Effendi? Du freust dich darüber, daß ich dumm bin?“ fragte er in seinem vorwurfsvollsten Ton.
„Nein. Sondern darüber, daß du einsiehst, es zu sein. Wer seine Fehler erkennt, der befindet sich auf dem Weg der Besserung. Und daß du jetzt, in diesem Augenblick, an diese deine Besserung denkst, das versteht sich ganz von selbst!“
„Richtig! Sehr richtig! Ich denke an sie!“ gestand er ein. „Später werde ich es dir noch ausführlicher sagen, denn jetzt habe ich keine Zeit dazu; aber es war im höchsten Grade lächerlich von mir, zu denken, daß ich die Hauptperson sei, du aber nur die Nebenperson. Ich habe mich betragen wie ein Knabe, dessen Hirn erst Milch und noch nicht Nervenmasse ist. Ich bin wie ein Tapps den Spuren nachgelaufen, ohne auch nur mit einer Silbe daran zu denken, daß man
Weitere Kostenlose Bücher