24 - Ardistan und Dschinnistan I
gar nicht kannten, in einen religiösen Streit mit ihr einzulassen. Wer Frauen überzeugen will, der hat sich an ihr Herz und an die Logik der Tatsachen zu wenden und sich zu hüten, irgend etwas zu verletzen, was ihnen heilig ist. Darum hob ich mir das, was ich jetzt von ihr gehört hatte, zur späteren Beantwortung auf und sorgte dafür, daß unser Gespräch diesen doch immerhin heiklen Gegenstand nicht wieder berührte.
Endlich sah ich die Stelle vor mir liegen, wo ich unsere Pferde angepflockt hatte. Ich führte Taldscha nicht dorthin, sondern nach links, durch das Gebüsch und zu dem Stamm, an dem der Scheik noch ganz genauso saß, wie ich ihn verlassen hatte. Sie blieb hoch aufgerichtet vor ihm stehen und fragte:
„Du bist Gefangener?“
„Ja“, antwortete er, ohne einen Versuch zu machen, aufzustehen.
„Wie ist das möglich?“
„Er überlistete mich.“
„Weißt du, was das heißt?“
Den Ton, in dem sie das sagte, klang vorwurfsvoll. Er senkte die Augen. Dann hob er den Blick wieder zu ihr empor und antwortete in geradezu rührender Wahrheitsliebe. „Das heißt, daß er klüger und vorsichtiger gewesen ist als ich. Verzeihe mir; du hast auch diesmal Recht!“
Und sich nun an mich wendend, fuhr er fort:
„Sie warnt mich nämlich immer, doch ich gehorche nicht. Ich verlasse mich auf meine Fäuste; sie aber behauptet, daß das kleinste Stückchen Geist viel stärker und mächtiger sei als ein meilenlanger und bergeshoher Körper. Ich weiß zwar sehr genau, daß dies richtig ist, aber wenn dann der Augenblick erscheint, an dem ich glaube, meinen Geist zu zeigen, dann bringe ich nichts fertig als nur Knabenstreiche. Du hast es ja gesehen!“
„Du scheinst während meiner Abwesenheit nachgedacht zu haben?“ antwortete ich.
„Allerdings! Und was ich da gefunden habe, sieht nicht so aus, als ob ich darauf stolz sein könnte. Ich bekam Angst. Du scheinst ganz so einer zu sein, wie meine Frau wünscht, daß ich werden soll. So ein kleines Stückchen Geist! Verstehst du mich? Als du mich verlassen hattest, fragte ich mich, was daraus werden könnte, wenn dieser Geist jetzt plötzlich in meine guten, ahnungslosen Ussul fahren würde –“
„Das hat er auch getan“, unterbrach sie ihn, „und du kannst nur froh sein, daß es nicht ein böser, sondern ein guter Geist gewesen ist, den er mit sich brachte. Er kam auf deinem Pferd wie ein Sturmwind dahergebraust, an dem Lager vorüber und gerade in den See hinein, wo der Sahahr mit zwei Männern im Boot saß, um den Gefangenen, den wir gemacht hatten, nach der Insel zu bringen. Er schwamm auf dem Pferd zum Boote hin, warf den Sahahr heraus, stieg selbst hinein, schnitt die Fesseln des Gefangenen durch und trieb dann auch die Ruderer ins Wasser. Dann kam er nach dem Ufer und nahm den Zauberpriester mit dem Riemen gefangen, um uns zu zeigen, auf welche Weise er dich überwältigt hat. Was konnten wir nun tun, nachdem er erst den weltlichen und dann auch noch den geistlichen Anführer der Ussul in seine Gewalt gebracht hatte? – Ihn etwa töten?“
„Ja! Das dachte ich!“ antwortete er.
„Niemals! Man tötet nur Ungeziefer, nicht aber ehrliche Menschen!“
„Aber wenn er tot wär, bräuchte ich mein Wort nicht mehr zu halten! Ich hätte diese Stelle verlassen und zu euch zurückkehren können!“
„Er hätte sich gewehrt. Wenigstens der Sahahr wäre verloren gewesen!“
„Aber bedenke nur: Du hattest neunzehn Jäger bei dir! Riesenstarke Männer mit Spießen, Messern und Pfeilen!“
„Neunzehn Männer mit Spießen, Messern und Pfeilen!“ fiel ich da lächelnd ein, indem ich den Henrystutzen in die Hand nahm. „Schau diese kleine, dünne Flinte! Sie ist mehr wert als alle eure Lanzen, Pfeile und sonstigen Waffen. Hast du den Quittenbaum gesehen, an dem wir unweit von hier vorübergekommen sind? Steh auf, und folge mir! Ich will euch etwas zeigen.“
„Ich darf aufstehen?“ fragte er.
„Ja“, nickte ich.
„Bin also nicht mehr gefangen?“
„Doch! Ich gebe dich erst dann frei, wenn du mein Freund geworden bist.“
„Gut! Du bringst mich wieder hierher, sobald du willst.“
Ich schritt voran, und die beiden kamen hinterdrein. Wir gingen bis an die Stelle zurück, wo die Quitte stand. Das war ganz in der Nähe der Hauptrichtung, aus der wir links eingebogen waren. Grad als wir den Baum erreichten, der ganz voll von noch sehr kleinen, flaumigen, silbern schimmernden Früchten hing, kamen Halef und der Sahahr daher. Sie befanden
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