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24 - Ardistan und Dschinnistan I

24 - Ardistan und Dschinnistan I

Titel: 24 - Ardistan und Dschinnistan I Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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auch ihren Pferden. Zwar soll man den Menschen nicht mit dem Tier vergleichen, aber alle diese guten, unbeholfenen Menschen schienen mir sowohl innerlich wie auch äußerlich mehr oder weniger mit Smihk, dem Dicken, verwandt zu sein.
    Der Ritt verlief während des ganzen Tages für mich und Halef im höchsten Grade interesselos. Es geschah nichts, was uns beschäftigen konnte. Jeder Abweg aus der Richtung, auch der kleinste, wurde vermieden und jeder Erregung wich man aus. Ich sah, wie die Ussul vor allen Dingen ihre Bequemlichkeit liebten. Solche Menschen und solche Völker pflegen aber dann, wenn sie einmal aus ihr aufgerüttelt worden sind, viel schwerer wieder zur Ruhe zurückzukehren.
    Nur einmal gab es eine Art von Szene, aber auch nicht äußerlich, sondern nur innerlich. Das war, als man sich bemühte, mir eine Beschreibung der Stadt zu geben. Man schilderte den Tempel, den Palast, die Straßen und Gassen, die freien Plätze und die wichtigsten Gebäude. Unter diesen letzteren wurde auch das Zindan(Gefängnis) genannt und mir beschrieben. Gegenwärtig war der gefährlichste unter den Gefangenen ein Wahnsinniger, der zugleich auch räudig war und der Ansteckungsgefahr wegen von allen Menschen abgesondert gehalten werden mußte. Der Wahnsinn forderte auf alle Fälle unser ganzes Mitgefühl heraus, und von einer derartigen Räude, die kein Aussatz war, hatte ich noch nie etwas gehört. Daher erkundigte ich mich nach diesem Gefangenen mit viel größerem Interesse, als ich den übrigen Gegenständen der Unterhaltung gewidmet hatte.
    „Gibt es bei euch einen Arzt, der es versteht, derartige Krankheiten richtig zu behandeln?“ fragte ich, indem ich mich unbefangener stellte, als ich war.
    „Natürlich gibt es ihn!“ antwortete der Sahahr in selbstbewußtem Tone.
    „Den muß ich kennenlernen!“ sagte ich.
    „Du kennst ihn schon!“ versicherte er.
    „Wieso?“
    „Ich selber bin's!“
    „Glaubst du, ihm helfen zu können?“
    „Nein. Diesem Dschirbani (der Räudige) kann nicht geholfen werden. Er wird an der Räude sterben. Und auch sein Wahnsinn ist unheilbar. Sein Wahnsinn wächst, und die Räude frißt ihn auf. Man hat weiter nichts zu tun, als ihn streng abzusondern, damit seine Krankheit nicht auf andere übergeht.“
    „In welcher Weise äußert sich sein geistiges Leben?“
    „Darin, daß er alles anders macht, als wir.“
    „Hm!“ brummte ich, und Halef lächelte. Da konnte man wohl sehr vieles anders machen, ohne grad irr im Kopf zu sein!
    „Auch denkt er ganz anders als wir“, fuhr der Sahahr fort. „Er sagt es zwar nicht, aber man sieht es ihm an, daß er sich einbildet, klüger zu sein, als andere Leute. In der Religion, in der Geographie, in der Weltgeschichte, in der Kunst, ein Land und den darin wohnenden Menschenstamm zu regieren, hat er seine eigenen Ansichten. Er spricht nicht davon, aber er lehrt sie, indem er sie befolgt, indem er nach ihnen lebt und handelt. Das ist das Gefährlichste, das Allergefährlichste, was es gibt! Darum sperren wir ihn ein! Denn wer ihn sieht und ihn beobachtet, der läßt sich von ihm täuschen, gewinnt ihn lieb und handelt so wie er. Und das ist die schlimmste Art des Wahnsinns, weil er ansteckend wirkt!“
    „Weißt du, woher er solche Gedanken nimmt? Hatte er einen Lehrer?“
    Bei dieser Frage wurde er verlegen.
    „Einen Lehrer hatte er eigentlich nicht“, antwortete er. „Weißt du, was ein Hamaïl ist?“
    „Ja. Das ist ein Koran, der aus Mekka stammt und den man als Andenken an die Pilgerfahrt nach dieser heiligen Stadt an einer Schnur am Halse trägt.“ Daß ich selbst einen hatte, sagte ich ihm nicht.
    „Das ist richtig“, fuhr er fort. „Ein solches Hamaïl hat der Dschirbani. Aber dieses Buch an seinem Hals ist kein Koran. Ich habe ihn einmal gebeten, hineinschauen zu können, und er erlaubte es mir. Da stand die Überschrift:
    ‚Werde Mensch; du bist noch keiner!‘
    Ist das nicht wahnsinnig? Ist das nicht verrückt? Und als ich ihn fragte, inwiefern wir noch keine Menschen seien, wollte er mir weismachen, daß in jedem Menschen gleich von Geburt an ein Tier stecke, welches man entweder totschlagen oder verhungern lassen müsse, wobei der von ihm befreite, gute, edle Mensch dann übrig bleibe. Wenn das kein Wahnsinn ist, so gibt es überhaupt keinen!“
    „Könnte es nicht doch etwas anderes sein?“ fragte Halef.
    „Nein! Unmöglich! Ein Tier im Menschen! Bedenke doch! Ich will es dir an einem Beispiel erläutern: Du bist

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