24 weihnachtliche Geschichten - ein Adventskalenderbuch
Stimme krächzte: „Nicht bewegen! Wir haben ein Problem mit der Elektrizität!“, rief sie. „Aber wir werden das gleich beheben! Ganz ruhig stehen bleiben, dann passiert nichts.“
„Das darf nicht wahr sein!“, wiederholte meine Mama. Ich sah mich vorsichtig um. Hinter uns standen eng an eng die Menschen unserer Stadt. Drei Stufen unter uns konnte ich den schlaksigen Jungen erkennen, der morgens die Zeitung brachte. Dahinter war der alte Herr Rübe, aus dem Haus gegenüber. Zwei hinter ihm die Verkäuferin aus der Metzgerei, und daneben unsere nette Kinderärztin. Ich winkte zaghaft, und sie winkte zurück.
„Wem winkst du?“, fragte Mama.
„Der Kinderärztin!“, sagte ich. „Sie macht auch einen gemütlichen Weihnachtsbummel. So wie wir.“
Die Leute um uns herum fingen an, sich zu unterhalten. Die Kinderärztin sprach mit der Verkäuferin aus der Metzgerei. Und der alte Herr Rübe quasselte mit dem Jungen, der die Zeitung brachte.
Ich drehte mich wieder zu Lola.
„Witzig!“, sagte sie bloß.
Der Lolli war weg. Ihr Mund glänzte von Zucker.
„Wir schalten für einen Augenblick den Strom aus!“, tönte es von unten. „Bitte nicht erschrecken!“ Es machte Klack. Auf einmal war es mucksmäuschenstill und absolut finster. Eine ganz eigentümliche, feierliche Stimmung entstand.
Und da spürte ich plötzlich Lolas Lippen auf meinen. Toll und süß schmeckte das. Nach Erdbeere und sehr viel Zucker.
Dann machte es wieder Klack. Der Kinderchor trällerte, die funkelnden Lichter gingen an, die Kassiererinnen rasten Flügel schwingend zurück zu ihren Kassen.
Ächzend setzte die Rolltreppe sich in Bewegung.
Lola grinste und kehrte mir wieder den Rücken zu. Ungeduldig wippte sie mit den Füßen.
„So eine Aufregung!“, sagte Mama und griff nach meiner Hand. Meine Lippen waren klebrig. Es fühlte sich an, als wären sie zusammengepappt. Der Schwindel war weg, stattdessen hatte ich das Gefühl, als würde ich schweben.
„Frohe Weihnachten!“, sagte die Lola-Mama, als wir endlich oben angekommen waren. Sie fasste ihre Tochter an der Hand, und schon waren die zwei im Weihnachtsparadies verschwunden.
21. Dezember
Sabine Städing
Düstere Aussichten
Für Jonas begannen die Ferien
am 21. Dezember. Einen Tag früher als für alle anderen Kinder. Doch das machte die Sache nicht ein kleines bisschen besser. Anders als der Rest seiner Familie freute Jonas sich nämlich überhaupt nicht, Weihnachten bei Tante Greta und Onkel Lars in Norwegen zu verbringen.
Im Gegenteil, in seinem Bauch machte sich ein sorgenvolles, dunkles Gefühl breit. Und das hing mit seinem Wunschzettel zusammen, mit dem er sich diesmal besonders viel Mühe gegeben hatte. Er wünschte sich nämlich einen Hockeyhelm und Schlittschuhe – ganz dringend. Zur Sicherheit hatte er sogar Bilder aus dem Prospekt herausgeschnitten und dazugeklebt. Doch nun war alle Mühe umsonst, denn er würde nicht da sein, um seine Geschenke entgegenzunehmen.
Sein großer Bruder Niklas hatte ihn nur spöttisch angesehen, als er erklärte, seine Eltern müssten schon allein nach Norwegen fahren, denn er, Jonas, würde sich vor Heiligabend keinen Zentimeter von zu Hause fortbewegen.
Schließlich wusste er, was in Norwegen los oder besser nicht los war. Er hatte seine Eltern nämlich gefragt, ob dort auch der Weihnachtsmann käme, und Papa hatte ihn auf die Nase gestupst und geantwortet: „Nein, in Norwegen kommen die Julenisser.“
Genau das hatte Jonas befürchtet: Norwegen war ein weihnachtsmannfreies Land. Und soweit er seinen Vater richtig verstanden hatte, musste man rechtzeitig damit anfangen, die seltsamen Nisser gnädig zu stimmen, wenn man etwas von ihnen geschenkt haben wollte. Schon in der Adventszeit sollte man ihnen jeden Abend eine Schüssel voll Grütze mit Butter vor die Tür stellen. Sonst konnte es passieren, dass sie einem einen bösen Streich spielten oder die Geschenke ganz einfach nicht auslieferten.
Natürlich hatte Jonas ihnen noch nicht eine einzige Schüssel Grütze vor die Tür gestellt, denn er war ja zu Hause und nicht in Norwegen. Düstere Aussichten also.
Früh am Morgen fuhren sie los. Mama, Papa und Niklas waren guter Dinge, nur Jonas schaute böse aus dem Fenster und versuchte, so wenig wie möglich zu reden.
Es war eine endlose Fahrt, und als sie Tante Gretas Haus erreichten, war es mitten in der Nacht. Die Luft war klirrend kalt, und Jonas war froh, nicht noch weiter fahren zu müssen.
Das rote Holzhaus
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