2409 - Grenzwall Hangay
Phänomenen", sagte Oberstleutnant Chucan Tica leise, „die unsere Macht und unseren Horizont übersteigen. Versuchen werden wir es natürlich, aber ..."
Das Wort hing lang im Raum. Schließlich durchbrach ein Anruf von Oberst Theonta das drückende Schweigen.
„Eben hat ESCHER eine neue Stabilzone ausfindig gemacht", informierte der Kommandant. „Es ist uns ab sofort möglich, den Linearflug wieder aufzunehmen."
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Mit dem lächerlich niedrigen Überlichtfaktor von 7500 setzte das Hangay-Geschwader seinen Weg fort.
Im Lichte der jüngsten Entwicklungen zehrte dieses Dahinschleichen an den Nerven der Eingeweihten. Stimmten Jawna Togoyas Schlussfolgerungen und die Hypothesen der Halbraum-Physiker, dann sollte der LFT-Pulk den Grenzwall so schnell wie möglich durchstoßen, um sich dessen auszehrendem Einfluss zu entziehen.
Laut ESCHERS Modell – und ein anderes hatten sie nicht – ließ sich das Diskontinuum aber nur mit geringer Geschwindigkeit durchdringen. Wenn denn überhaupt ...
Wenigstens waren sie nicht länger zur Tatenlosigkeit verdammt. Es ging voran, aufreibend langsam zwar, doch Lichtjahr um Lichtjahr.
Davon abgesehen verstrich der 29. Juni NGZ ereignislos.
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Um die Mittagszeit des 30. Juni begannen sich in den diversen Medostationen des Hangay-Geschwaders die Krankmeldungen zu häufen. Von da an nahmen sie immer rapider zu.
Auch bei den Posbis mehrten sich die Ausfälle der biologischen Komponenten.
Die Beunruhigung hielt sich jedoch, abgesehen von der üblichen Hysterie der wenigen mitreisenden Matten-Willys, in Grenzen. Betroffen waren ausschließlich untergeordnete Exemplare, die nach Aufhebung der hypertoyktischen Verzahnung und paralytischer Konservierung des Zellplasmas einfach als rein positronische Roboter weiterfunktionierten.
Jawna Togoya und andere, ähnlich hoch entwickelte Posbis bemerkten – noch – keinen Leistungsabfall. Gleiches galt für die Plasmakommandanten der BOXEN ATHOS, PORTHOS und ARAMIS sowie die Hyperinpotroniken der übrigen Bordrechner-Netzwerke. Offenbar schützte sie die schiere Masse ihrer Plasma-Anteile einstweilen vor dem schädlichen Einfluss des Diskontinuums.
Bei denjenigen „biologischen" Besatzungsmitgliedern, die von Schwächeanfällen heimgesucht wurden, sah es übler aus.
Sie reagierten nicht mit instinktivem Ekel oder Entsetzen wie die drei Psi-Begabten; dazu fehlte ihnen deren Sensibilität. Sie nahmen nicht einmal diffus wahr, was sie schwächte.
Ihre Kräfte schwanden einfach dahin, als hätten sie über mehrere Tage hinweg ununterbrochen körperliche und geistige Höchstleistungen erbracht. Der biologische Aufbau schien dabei keine Rolle zu spielen, nicht die Herkunft, die Körpermasse, Größe des Gehirns oder Menge der Nervenzellen.
Schlaf war die einzige Therapie, die den Ärzten nach immer gleich verlaufenen Untersuchungen einfiel. Bis auf die Erschöpfungszustände waren schließlich alle Befallenen kerngesund.
Oberst Theonta und die Kommandanten der PONTON-Tender ERIDANUS XV sowie FOMALHAUT I, II und III halbierten prophylaktisch die Dienstzeiten auf vier Stunden pro Schicht. Allen war klar, dass diese Lösung nicht von Dauer sein konnte. Analog verkürzten sich ja auch die Ruhephasen, sollte die erhöhte Alarmbereitschaft aufrechterhalten werden – was angesichts der kritischen Situation geboten war.
Atlan setzte Prid-Reuyl, den Leiter der Medizinischen Abteilung der RICHARD BURTON, als Vorsitzenden einer Sonderkommission ein, die sich allen Aspekten dieser Krise widmen sollte. Als erste Tat erstellten die versammelten Experten auf Basis von Khapeth-Shepars Kurve eine Hochrechnung, der zufolge binnen der nächsten 24 Stunden mehr als die Hälfte der Besatzungen unter Leistungsdefiziten zu leiden haben würden.
Zusammen mit dem von Aralon stammenden, 215 Zentimeter großen, sehr hageren, extrem dünnhäutigen Prid-Reuyl trat Atlan vor die Kameras des Bord-Trivids. Rückhaltlos klärten sie die Mannschaft über sämtliche bislang bekannten Fakten und Vermutungen auf.
„Ich spüre eure Blicke auf mir ruhen", sagte der Arkonide, „und sehe mich immer derselben stummen Frage ausgesetzt: Können wir nicht das Reisetempo beschleunigen, wenigstens um einige Prozent, damit wir dem verderblichen Einfluss des Grenzwalls früher entkommen?"
Nach einer Kunstpause fuhr er fort: „Die Antwort lautet Nein, definitiv nicht.
ESCHERS sechsdimensionales Modell erlaubt keine höhere Geschwindigkeit, wenn wir die
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