2411 - Schwinge-von-Raffat
Schwingevon-Raffat schutzlos im Niemandsland zurückgelassen, also de facto aufgegeben hatten.
Trotzdem verlangte Böudevail der Undichte, wie wir den verkalkten, inkontinenten Trunkenbold insgeheim nannten, dass wir die Station bis zum letzten Mann und Atemzug verteidigen sollten. Wahrscheinlich schwappte seine notorische Leidenschaft für Blutbäder wieder einmal hoch.
Blanke Idiotie. Unverständlicherweise zeigte sich dennoch ein Gutteil der Mannschaft geneigt, den Befehlen des manischen Marschalls Folge zu leisten.
Vor meinen geistigen Sehschwingen nahm ein Schreckensbild Gestalt an, welches detailreich auszumalen die Fantasie eines Chronisten nur allzu geeignet war: Schusswechsel zwischen den Piratenkreuzern und den automatischen Abwehrsystemen der Station, materialintensive Entermanöver, dann Gemetzel in den Gängen, Hallen und Quartieren ...
Was dabei zu Bruch gehen, ja irreparabel zerstört werden konnte!
Die wissenschaftlichen Labors. Die wertvollen Instrumente zur Beobachtung des Roten Riesen Koh. Die Lagerhallen voller Spezereien, schwer erhältlicher Pharmazeutika sowie seltener erotischer Filmkunstwerke. Und, und, und.
Mehr noch: Kam es hart auf hart, lief das Habitat als Ganzes Gefahr, dem Starrsinn eines greisen Kretins geopfert zu werden, welcher nicht einmal sein eigenes Wasser halten konnte.
Niemand, der klaren Sinnes und edlen Gemüts war, durfte ein solches Verbrechen zulassen. Es entsprang geradezu einer moralischen Pflicht, diesem Frevel Einhalt zu gebieten.
Glücklicherweise verfügte ich aufgrund meiner zwei so verschiedenen Tätigkeiten über Zugang auch zu den sensiblen Bereichen der Raumstation. Die entsprechenden Schlüssel und Kodegeber hatte ich mir schon lange davor angeeignet. Denn wer muss, sogar mehr noch als der Hygienefachmann, überall hineinkönnen, falls Not am Manne ist?
Richtig: der Chronist.
Mir war bewusst, welch immense Verantwortung ich auf meine schwachen Flügel lud. Dennoch zögerte ich nicht, mich über eine abgelegene Richtfunk-Anlage mit den Piraten in Verbindung zu setzen. Klopfenden Herzens unterbreitete ich ihnen ein von Rationalität und Friedfertigkeit diktiertes Vermittlungsangebot.
Und siehe da, mein selbstloser Wagemut ward reich belohnt.
*
Nachdem die KChi mithilfe meiner Lagepläne, Geheimkodes und dezenten Manipulationen am Belüftungssystem die Schwingevon-Raffat ohne gröbere Material- oder Personenschäden im Sturm genommen hatten, stellten sie die Überlebenden vor die Wahl: Entweder man schloss sich ihnen an, dann hatte man faire Eignungstests zu bestehen und einen recht eindeutig formulierten Schwur zu leisten. Oder man bestieg die kleine Raumfähre und schipperte mit dem in der Reichweite arg beschränkten Vehikel einer ungewissen Zukunft entgegen.
Mir persönlich fiel die Entscheidung leicht. Wa-Gon-Bloi, dem Anführer der Khif Chimanga, ist gar nicht hoch genug anzurechnen, dass er meinen Charakter und den Wert meiner Talente sofort richtig zu beurteilen wusste. Ich wiederum wäre ein Tor gewesen, hätte ich die Chance ausgeschlagen, der Nachwelt über die verwegenen Streiche und uneigennützigen Schelmenstücke eines Freiheitshelden Bericht zu erstatten, welcher in der gesamten Galaxis Hangay seinesgleichen suchte.
Böudevail hingegen, vollkommen vertrottelt und unfähig, seine Niederlage einzugestehen, gab lautstark und speichelreich von sich, eher gehe er zu Fuß zum nächsten Vennok-Planeten.
Wa-Gon-Bloi bewies Humor. Er kam dem geäußerten Verlangen nach.
*
Drei Dutzend Wissenschaftler und Soldaten traten wie ich, wenngleich in niedrigerer Position, der Khif Chimanga bei.
Die rund zweihundert Übrigen bestiegen die altersschwache Fähre und legten damit ab, begleitet von unseren besten Wünschen.
Welche vom Schicksal leider nicht erhört wurden: Schon kurz nach dem Start, noch ehe die zum Eintritt in den Hyperraum erforderliche Geschwindigkeit annähernd erreicht war, verging das Beiboot in einem grellen Feuerball.
Ob die lange nicht benutzten, schlecht gewarteten Triebwerke vor Überlastung explodiert waren oder sich aus einem der Geschütze der Schwingevon-Raffat versehentlich ein Schuss gelöst hatte – tja, das wird wohl auf ewig ein Rätsel bleiben.
3.
Adieu, Musketiere!
Der Schichtwechsel in der Hauptleitzentrale der RICHARD BURTON ging gestaffelt vor sich.
Schließlich waren bei erhöhter Alarmbereitschaft an die hundert Personen daran beteiligt. Hätten sämtliche
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