242 - Im Fadenkreuz
immer blieb seine Suche vergeblich. Hier in der eisigen Kälte der Antarktis gab es weder eine Geschlechtspartnerin für ihn, noch ein Rudel von Seinesgleichen. Dem einzigen Lebewesen, dem er sich anschließen konnte, war sein Herr.
Chacho, so wurde er in den Lauten der Nackthäuter genannt. Sable kannte ihn schon, als er selbst noch ein kleiner Krabbler war. Damals roch der Schwarzschopf süß und nach Milch. Heute war sein Geruch herb und erdig. Und diesem einzigartigen Geruch folgte Sable jetzt. Obwohl das kaum noch nötig war: Er befand sich inzwischen in einer Gegend, die er in- und auswendig kannte. Lange Zeit hatte er hier mit dem Schwarzschopf und dessen Nackthautgefährten gelebt.
Sable reckte die Nase. Ein frischer Wind strich ihm durch das gestreifte Fell. Im Licht der aufgehenden Sonne sah er in der Ferne die wellenförmige Bergformation, hinter der ihr einstiger Eisbau lag. Wieder lief ihm das Wasser im Rachen zusammen. Nicht nur sein Geruchssinn, sondern auch sein Instinkt sagte ihm, dass er dort seinen Herrn finden würde. Und wo der Schwarzschopf war, da gab es auch etwas zu fressen.
So begann er zu laufen. Kleine Schneewölkchen stoben unter seinen Pranken auf, und um ihn herum flirrte die Luft von winzigen gefrorenen Tropfen. Von irgendwo her drang ein krachendes Ächzen an seine Ohren. Es kam von den Eisplatten, die sich unter den endlos weiten Schneefeldern ineinander schoben oder auseinander drifteten. Der Sebezaan kümmerte sich nicht weiter darum. Er brauchte seine volle Aufmerksamkeit für seinen Weg durch die Risswelt. Immer häufiger drückte er seine Läufe vom weißen Untergrund ab und setzte in weiten Sprüngen über gefährliche Eisrisse und lose Schollen.
Bald witterte er nicht allein seinen Herrn, auch eine Vielzahl von anderen Gerüchen kroch ihm in seine Nase. Argwöhnisch beobachtete er seine Umgebung. Während er die rechte Flanke aus dem Augenwinkel gut einsehen konnte, war sein Gesichtsfeld zur Linken stark eingeschränkt. Ihm fehlte dort sein Auge. Ein Schuppenhäuter hatte es ihm mit einem Feuerstab aus dem Gesicht gebrannt. Seither musste Sable den Kopf wenden, damit nichts seinem Blick entging. Diese ungewohnte Bewegung machte ihn nervös. Sie reizte ihn. Reizte ihn fast so sehr wie sein nagender Hunger. Wütend blieb er stehen. Er senkte seinen Schädel und wetzte seine großen Säbelzähne an einem zerklüfteten Eisblock. Erst danach lief er weiter.
Als er endlich die Wellenberge erreicht hatte, erspähte er vor der weißen Eisformation das Eisengefährt des Schwarzschopfes. Daneben ragte ein eigentümlicher Felsen aus dem Boden. Er glänzte in der Morgensonne und hatte die Form jener Muscheln, die Sable mitunter am Strand des Großen Wassers gefunden hatte. Neugierig umrundete der Sebezaan den vermeintlichen Felsen. Er roch nach Eisen und in seiner Nähe nahm er den Gestank eines fremden Nackthäuters wahr. Es roch sauer und verdorben.
Der Sebezaan schüttelte sich und lief hinüber zum Gefährt des Schwarzschopfes. Er hob seine Nase: Sein Herr war also immer noch in Begleitung der beiden Nackthäuter, die Sable am Großen Wasser aus dem Schnee gegraben hatte. Schnurrend rieb er seine Flanken an dem kalten Gestänge. Dann setzte er eine Duftmarke und machte sich auf den Weg zum Eisbau.
Bald schlug ihm eine Duftwolke entgegen, die ihm fast die Sinne raubte. Es roch nach Fleisch. Kein gewöhnliches Fleisch. Keines, das er üblicherweise auf seinen Jagdausflügen erbeuten konnte. Nein, es war das süße Fleisch jener Schuppenschleicher, von denen er ein einziges Mal in seinem Sebezaanleben gekostet hatte. Das war noch gar nicht so lange her, und die Erinnerung daran ließ seinen Körper erzittern. Seine Krallen scharrten über den harschen Untergrund, als er in langen Sprüngen den Hang hinabjagte.
Und da lag sie, die ersehnte Mahlzeit, direkt neben dem Spalt, der in den Eisbau seiner einstigen Heimat führte. Ein mächtiger Brocken Schuppenschleicher. Doch er wurde bewacht. Von einem Nackthäuter mit rotem Fellschopf.
Sable verlangsamte seinen Lauf. Mit gesenktem Schädel und gespitzten Ohren näherte er sich dem Kadaver des Schuppenschleichers und seinem Bewacher. Wollte die Nackthaut ihm die Beute streitig machen? Der rote Fellschopf hatte ihn zwar erspäht, doch außer dass er seinen Kopf schief legte und ihn aus seinen wasserfarbenen Augen anstarrte, machte er keine Anstalten, Sable am Näherkommen zu hindern.
Dennoch versuchte der Sebezaan die Witterung der
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