242 - Im Fadenkreuz
Sable hatte sich auf der anderen Seite der Schleuse niedergelassen und bewachte das offene Tor. Ein kalter Luftzug strömte von den Eisgängen her in die wohltemperierte Schleuse.
Nach dem Kampf mit Crows Killermaschinen hatten die Gefährten stundenlang in dem Höhlensystem nach den Geflohenen gesucht. Doch vergeblich; die beiden schienen wie vom Erdboden verschluckt. Das Einzige, was sie fanden, war das M-16 Schnellfeuergewehr. Crow hatte ihnen die Waffe bei ihrer Gefangennahme abgenommen. Jetzt lag sie griffbereit in Chachos Nähe, neben den Teilen des Korbgeflechts, die der Einsiedler aus der Eishöhle mitgebracht hatte. Er wollte daraus ein Netz herstellen, über das Sable aus der Eisspalte klettern konnte.
Wenn es nach ihm ginge, so würden sie längst nicht mehr hier sein, sondern bereits im Schlitten und auf dem Weg zu seiner Höhle. Doch die Kriegerin wollte nicht fort. Nicht ohne ihren Gefährten!
Im Grunde verstand das keiner besser als Chacho, hatte er selbst doch einst Wochen damit zugebracht, um nach seiner Frau und seiner kleinen Tochter zu suchen. Obwohl er damals wusste, dass die beiden längst nicht mehr am Leben sein konnten. Er hatte ihre Leichen niemals gefunden und führte das Bestattungsritual der Pachachaos mit Haaren durch, die er von den Dingen zupfte, die ihm von den geliebten Menschen geblieben waren: eine Puppe seiner Tochter und ein löchriger Pullover seiner Frau.
Die Stimme der Barbarin riss den bärtigen Mann aus seinen traurigen Gedanken. »Lass mir den restlichen Proviant hier und kehre allein in deine Höhle zurück«, hörte er sie sagen. »Du hast schon so viel für uns getan, du musst dich jetzt wieder um dich selbst kümmern.«
Chacho bemühte sich, nicht aufzuschauen. Verbissen starrte er auf das Korbgeflecht in seinem Schoß. Löste Knoten um Knoten, um sie an anderer Stelle mit kleinen Eisenhaken wieder zusammen zu heften. Aruulas Worte machten ihn wütend. Wie konnte sie glauben, dass er auf ihren Vorschlag eingehen würde? Traute sie ihm wirklich zu, dass er sie mit den Maschinenmenschen und diesem eiskalten General Crow alleine lassen würde? Wollte sie ihn beleidigen? Oder redete sie nur gedankenlos daher?
Schließlich hob er doch seinen Kopf. Er wollte seiner Empörung Luft machen. Doch als er ihrem kummervollen Blick begegnete, blieben ihm die Worte im Halse stecken. Und als er die Tränen in ihren braun-grünen Augen schimmern sah, schimpfte er sich einen Idioten.
Nein, die schöne Barbarin wollte ihn nicht beleidigen. Sie war ganz einfach in der Klemme: Blieb sie, so würde er auch bleiben und sie brachte ihn in Gefahr. Ging sie, so würde sie Maddrax im Stich lassen. Fast verlegen suchte er nach Worten. »Ich werde hier bleiben… bis wir wissen, was aus Matt geworden ist…« Unsicher strich er sich über seinen Bart. »Ob du willst oder nicht«, fügte er schnell hinzu.
Als er sah, dass so etwas wie ein Lächeln über Aruulas Gesicht huschte, wurde ihm leichter ums Herz. »Danke«, flüsterte sie. Mehr sagte sie nicht. Sie wickelte sich in ihren Fellumhang und streckte sich vor dem Schott aus. Der Einsiedler legte das Korbgeflecht zur Seite und zog das Schnellfeuergewehr auf seinen Schoß. Nachdenklich glitt sein Blick über das verschlossene Tor. Irgendwann müssen sie ja wieder herauskommen, dachte er. Entweder Crow oder Matt – oder beide. Wie auch immer, er würde vorbereitet sein. Mit diesen Gedanken schloss er die Augen und nickte ein.
***
Chacho riss die Augen auf. Er wusste nicht, wie lange er geschlafen hatte. Wusste nur, dass es das drohende Knurren Sables war, das ihn geweckt hatte. Der Sebezaan lauerte mit gesenktem Kopf vor dem Schott.
Neben ihm sprang Aruula von ihrem Lager auf. Sie griff nach ihrem Schwert und kam an Chachos Seite. Auch er war inzwischen aufgestanden. Das entsicherte Gewehr in seinen Händen, beobachtete er aufmerksam das Schott. Von dessen anderer Seite waren tatsächlich Geräusche zu hören. Etwas wie ein Kratzen und Scharren.
Seine Augen wanderten hinüber zum Sebezaan, der ein leises Fauchen ausstieß. Sables Schwanz war gestreckt, seine Ohren angelegt, und in seinem Nacken sträubte sich das Fell.
Dann ertönte ein klickendes Geräusch. Die Blicke der Gefährten hefteten sich auf den silbrig schimmernden Hebel in der Mitte des Tores. Wie von Geisterhand bewegt, glitt er langsam nach oben.
Aruula und Chacho hielten den Atem an. Nun also würde sich zeigen, welcher der beiden Kontrahenten überlebt hatte. Chacho
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