2440 - Armee der Schatten
der Stirn: Kirmizz.
Als Tekener die Chips betrachtete, die sich vor ihm stapelten, zerbröselten sie und schrumpften auf wenige Zentimeter hohe Häufchen zusammen. Er rieb sich die Augen, blickte sich um. „Benjameen?", fragte er leise, mit brüchiger Stimme.
Ben manifestierte sich. „Ich bin da."
„Ja. Gut. Danke." Tek hustete. Blut strömte aus Mund und Nase, verwandelte sich in perlende Schriftzeichen und Symbole von Listen, Skizzen, Schaltplänen. „Ich stehe das nicht mehr lange durch. Hol mich hier heraus, ich flehe dich an!"
„Das kann ich nicht, mein Freund. Es ist dein Traum. Ich vermag nur in sehr beschränktem Maße Einfluss darauf zu nehmen."
„Schon klar." Er lachte freudlos, dann ergriff er Bens Oberarm. „Höre.
Die Sachlage hat sich entscheidend verändert. Wir dürfen nicht ... Wir müssen alles ... Aber zuvor sollten wir unbedingt ..."
„Was, Tek? Was ist plötzlich anders?"
„Faites votre jeux", ermahnten die identischen Croupiers. Zahllose Zeigefinger pochten auf den grünen Filz: Taptap ... taptap ...
Boden und Wände wackelten. Die riesigen Kristalllüster schwankten hin und her. Das Licht flackerte, warf endlos lange Schlagschatten.
Tekener raufte sich die Haare. „Kann nicht reden. Keine Zeit. Muss ... spielen ..."
Benjameen packte ihn an den Schultern, rüttelte ihn, brachte sein Gesicht ganz nahe vor das des Unsterblichen: „Die Acht-Zwölftel-Teilprüfung! Soll der Walfisch sie abblasen? Oder modifizieren? Gibt es eine neue Strategie, willst du neue Anweisungen erteilen?"
„Viel zu viele." Der Smiler weinte Zahlenketten. „Viel zu viele, Freund."
Er deutete auf sein erbärmliches Häufchen Chips und die einzelne Karte, die verdeckt davor lag. „Und ich habe viel zu wenig auf der Hand."
„All in!", kreischten die Gegner im Saal, in sämtlichen Sälen. „All in!"
„Sie bluffen mich raus, verstehst du?", krächzte Tekener. „Ich – bin – draußen!"
Mit einer wilden, weit ausholenden Armbewegung wischte er die Chips vom Tisch, von allen Tischen. Sie flogen hoch, wirbelten durch die Luft, verwandelten sich in kleine, nette, hilflose Mom’Serimer, die von der johlenden Fratzenmasse abgeschossen wurden, einer nach dem anderen, wie Tontauben.
Nur die Spielkarte blieb zurück. Ben griff danach, während die Szenerie in einen Wirbel aus Farben und Formen zerstob.
Er drehte die Karte um: Sie zeigte das Bild einer Nachtigall.
Benjameen da Jacinta beschloss, unverzüglich aufzuwachen.
*
Er vergewisserte sich, dass, wie in regulären Schlafperioden üblich, kein Kolonnen-Motivator vor der Kabine Wache schob. Dann stürmte er hinaus, den Gang entlang, die Nottreppe hinunter, zwei Decks tiefer durch weitere Gänge, bis er schlitternd vor einer Tür zu stehen kam.
Um Atem ringend, betätigte er den Summer. Er hoffte inständig, dass die Person, die diese Kabine bewohnte, anwesend war.
Sie hatte Freischicht, so viel wusste er. Aber sie war als lebenslustig bekannt, und nach Dienstschluss frequentierte sie gern „Bobos Planet" oder eine der anderen Bars.
Falls sie sich jedoch bereits zur Ruhe begeben und dem Servo aufgetragen hatte, sie nicht mehr zu stören, stand Ben genauso auf verlorenem Posten.
Sie im Traum zu besuchen hätte ihm nichts gebracht. Was er bei ihr zu finden hoffte, benötigte er in physischer Form.
Leise surrend glitt das Schott zur Seite. Ben holte tief Luft. Im Türrahmen stand Vesper Nightingale, die zierliche, lang bewimperte, stets übernächtigt wirkende Xenobiologin, die unter dem Pseudonym „Nachtschwalbe" den Bordsender SOLtv betreute.
Sie strich ihre pechschwarzen Haarsträhnen aus der Stirn, musterte ihn von oben bis unten und hob anzüglich die Augenbrauen. „Ja?"
Erst jetzt wurde Benjameen bewusst, dass er barfüßig war, nur Unterwäsche trug und sein hastig übergeworfener Bademantel weit offen stand.
„Äh ... Pardon, bitte entschuldige meinen ramponierten Aufzug, aber ...
Hat Tek dir vor Kurzem etwas zukommen lassen?"
„Ach, darum geht’s. Na, so was, und ich dachte schon, dich hätte plötzlich die Gier nach hemmungsloser Ausschweifung übermannt. – Tritt ein, Kristallprinz."
An sich hasste Benjameen Anspielungen darauf, dass er auch für Arkoniden eine frappierende Ähnlichkeit mit Atlan da Gonozal aufwies. Momentan scherte er sich keinen Deut darum. „Alles in Ordnung bei dir?"
„Wenn man davon absieht, dass das Bordleben seit Längerem generell ein Jammertal darstellt und mit dem Gros der Kollegen,
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