245 - Geisterstadt Washington
Wolkendecke, die die Stadt wie ein Leichentuch überzog, langsam nach Osten.
Der freigegebene blaue Himmelsstreifen am Horizont erschien Matt genauso unwirklich wie das silberne Band des Flusses, das im Licht der Sonne funkelte und glitzerte, als wäre nichts geschehen. Noch unwirklicher erschien ihm der grüne Hügel, der einen Kilometer entfernt aufragte. Genau über der Stelle, an der sich normalerweise der Pentagonbau befand.
Eine düstere Ahnung beschlich Matt. Statt an den Ufern des Potomac zu landen, flog er zielstrebig auf die vermeintliche Erdformation zu.
Sein Herz klopfte schneller und von Erschöpfung war keine Spur mehr, als sie den Platz überflogen, an dem sich der fünfeckige Regierungssitz des Weltrats befinden musste. Unter dieser dunkelgrünen Erhebung, bei der es sich nur um ein riesenhaftes Exemplar der Schleimkreatur handeln konnte. Fast machte sie den Eindruck, als brüte sie – oder hatte sie das Gebäude unter sich begraben, weil sich darin Überlebende aufhielten?
***
Bruder Sorrow zog sich seine Kuttenkapuze tief in das Gesicht und verließ den Waschraum. Wie ein dunkler Schatten schlich er den toten Schacht entlang, der in den Hauptgang mündete. Aus der Ferne hörte er die Stimmen, die vom Zugang des U-Bahnhofs herüber grölten. Ein böses Lächeln glitt über sein Gesicht: Er selbst hatte dafür gesorgt, dass die Wachen dort auch heute Nacht wieder mit einer aufgebrachten Menge beschäftigt waren. Bei dem Tumult würde keinem der Vermummte auffallen, der sich durch Nischen und Windungen hinter den Randalierenden vorbei stahl.
In seinem Rücken verebbten die Flüche von Trashcan Kid und Loola, die gemeinsam Captain Percival Roots und seine Männer bei der Bewachung des Schotts unterstützten. Sorrow achtete nicht weiter darauf. Er konzentrierte sich auf die nächsten Schritte seines düsteren Plans. Auch wenn bis jetzt alles geklappt hatte, musste er höllisch aufpassen. Er durfte sich nicht den geringsten Fehler erlauben. Nicht, bevor er Black und Präsidentin Cross da hatte, wo er sie haben wollte: im Fegefeuer der Ewigkeit! Sie sollten büßen für all das, was sie den Rev’rends und ihren Anhängern angetan hatten.
Der neue Inquisitor ballte die Fäuste. Die Rev’rends hätten schon vor Jahren aus Waashton eine Stadt Gottes gemacht, wenn dieser verfluchte Mr. Black und dieser unangenehme General Crow ihnen nicht dazwischen gefunkt hätten. Am Ende der Schlacht um Waashton wurde Crow als Verräter enttarnt und in die Wüste geschickt. Und die Rev’rends erhielten den Waashican als Domizil.
Ein Zipfelchen der großen Stadt! Ein jämmerliches Almosen! Sorrow kam die Galle hoch, wenn er nur daran dachte. Wenn es nach ihm und Rev’rend Torture gegangen wäre, hätten sie nur wenige Wochen danach kurzen Prozess mit dem Hohen Richter und der blonden Hexe gemacht.
Doch Erzbischof Rage war dagegen. »Die Wege des HERRN sind unergründlich«, entgegnete er ständig ihrem Drängen. Rage war ein Narr! Sein größter Fehler war gewesen, General Crow ungeschoren davonkommen zu lassen, der kurze Zeit nach seiner Vertreibung aus Waashton seine grausamen Maschinenmenschen auf die Rev’rends hetzte. Nur Rage und Torture hatten das Massaker überlebt.
Sorrow – damals noch ein einfacher Bürger – hatte bei den verbliebenen Rev’rends um Aufnahme in ihren Orden ersucht. Aufgrund der aktuellen Geschehnisse war er schon nach kurzer Zeit in den Stand eines Rev’rends erhoben worden, durfte jedoch nicht den Namen eines gefallenen Gotteskriegers annehmen, sondern wurde auf »Rev’rend Sorrow« getauft. Als die Meister Rage und Torture dann gen Appalachen zogen, um den Teufel aus den Bergen heraus zu treiben und zu vernichten [3] , war Sorrow als ihr Stellvertreter in Waashton verblieben. Und hatte nach dem Desaster in Faith und Mercy zwei treue Handlanger – er nannte sie Novizen – gefunden, die es ihm ermöglichten, weiterhin im Verborgenen zu operieren.
Black und Cross gehen über Leichen, wenn es um die Aufrechterhaltung ihres so genannten Staatsapparates geht, dachte Sorrow grimmig. Dem Richter und der Präsidentin war es doch nur recht, dass der Erzbischof mit Rev’rend Torture zum Kreuzzug gegen die Dämonen der Appalachen aufgebrochen war. So mussten sie sich selbst nicht ihre Finger schmutzig machen. Vermutlich hatten sie sogar mit dem Feind kooperiert, um die tapferen Gottesmänner und ihre kleine Streitmacht ins Verderben laufen zu lassen.
Sorrow war von der geplanten
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