245 - Geisterstadt Washington
Dämonenjagd der beiden Rev’rends wenig begeistert gewesen. Doch er konnte sie weder Rage, noch seinem Meister ausreden.
Dabei glaubte Sorrow nicht einmal an Gott. Er glaubte nur an die Macht, die diese Idee den Rev’rends über die Menschen verlieh.
Nun verlangsamte er seinen Schritt und schaute sich wachsam um. Keine Menschenseele war auf dem Flur vor der Krankenstation zu sehen. Mit wenigen Schritten war er bei den großen Flügeltüren. Er klopfte gegen das Milchglas und zog die Ränder seiner Kapuze bis unter die Nase zusammen. Wie erwartet öffnete die Hitking.
Ein ehrfürchtiger Ausdruck lag in ihrem Gesicht, als sie ihn herein ließ. Er wusste nicht, was Bruder Faith der ehemaligen Diebin über ihn erzählt hatte, doch sie tat fast so, als würde der Herr persönlich die Krankenstation betreten.
Wenn du wüsstest, wer unter der Vermummung steckt…, dachte er. Doch noch war nicht der Zeitpunkt für eine Enttarnung. Noch nicht. Wortlos führte die kleine Rothaarige ihn an Lady Stocks Bett vorbei. Der Sichtschutz bei deren Lager war zusammen gefaltet. Wahrscheinlich, damit Yanna vom Nachbarzimmer aus die Kranke im Blick behalten konnte.
Schließlich erreichten sie die Betten hinter den Wandschirmen in der Mitte der Station. »Ich lasse Sie jetzt bei Ihrem Segensritual alleine«, flüsterte die ehemalige Diebin.
Sorrow nickte stumm. Er wartete, bis die Hitking die Tür des angrenzenden Zimmers hinter sich geschlossen hatte. Dann näherte er sich Dirty Buck. Der schwarze Hüne hatte die Augen geschlossen und sah erbärmlich aus. Eigentlich war der Freund von Marisar der einzige der Trashcan-Kids, für den der neue Inquisitor so etwas wie Sympathie empfand. Dennoch: Er stand auf der falschen Seite. Sein Tod war beschlossene Sache!
Doch nicht heute. Sorrow wandte sich den anderen Betten zu. Seine Wahl war schnell getroffen: eine ältere Frau, von der er sicher war, dass sie zu den Rev’rend-Anhängern gehörte.
Mit raschelndem Gewand trat er an ihr Lager. Wie alle anderen schlief auch sie tief und fest. Fast zärtlich hob er ihr graues Haupt und zog das Kissen darunter hervor. »Du stirbst für die Sache des HERRN«, flüsterte er in ihr Ohr.
Als er mit dem weichen Polster ihr Antlitz bedeckte, stellte er sich einen Augenblick lang das Gesicht der Präsidentin vor. Die blonde Hexe, die Bruder Mercy auf dem Gewissen hatte. Dann drückte er zu. Es schien eine Ewigkeit zu vergehen, bis der strampelnde Körper endlich zur Ruhe kam. Sorrow schlug das Kreuz und bettete den Kopf der Toten wieder auf das Kissen.
Dann schlich er auf leisen Sohlen zur Tür. Seine Faust hatte deren Knauf schon umschlossen, als sein Blick auf das Bett von Lady Stock fiel: Aus weit aufgerissenen Augen glotzte die Frau ihn an.
Der Inquisitor atmete schwer. Waren ihre Augen schon vorhin geöffnet gewesen? Hatte sie ihn gar bei seinem Tun beobachtet?
Er würde kein Risiko eingehen. Auch wenn es ihm unmöglich erschien, dass die Stockduck ihn unter seiner Kutte erkannte. Mit wenigen Schritten war er bei ihr. Ein Handgriff genügte, die Kanüle von ihrem Tropf zu lösen. Ungläubig verfolgte die Kranke jede seiner Bewegungen.
»Der HERR segne dich, Schwester«, raunte er ihr zu, bevor er sich abwandte, um wieder der zu werden, als den ihn alle hier unten kannten.
***
Der neue Tag erhob sich strahlend über den Ufern des Potomac. Kein Wölkchen trübte den Himmel und das Licht der Morgensonne spiegelte sich rosarot in den Fluten des Flusses.
Aruula spielte mit der gefundenen Axt in ihrem Schoß und schaute gedankenverloren aus einem Seitenfenster des Gleiters, während sie sich langsam der grünen Erhebung näherten, die das Pentagongebäude unter sich begraben hatte. Was würde sie dort erwarten? Sie dachte an die Attacke der Kreatur auf Maddrax’ Bein. Dank des widerstandsfähigen Spinnenseidenstoffs der Hose hatten die ätzenden Magensäfte nicht zu seiner Haut vordringen können. Sogar auf dem Stiel der Axt waren Spuren davon zu sehen.
Heute brauchen wir noch wesentlich mehr Glück. Aruula rief sich die Gespräche ins Gedächtnis, die sie am vergangenen Abend geführt hatten: über die Schleimkreaturen, den Verbleib der Waashtoner und den rätselhaften Dschungel in den Appalachen. Ihnen beiden war klar: Ihre Chancen gegen diese unheimlichen Wesen standen schlecht. Doch solange noch Hoffnung bestand, Überlebende zu finden, würden sie nicht aufgeben.
Als ihr Gefährte jetzt den Gleiter im sicheren Abstand zu der
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