245 - Geisterstadt Washington
neuen Patienten untergebracht. Dort angekommen, verteilte die ehemalige Diebin den Tee an die vier Frauen und acht Männer, die bleich aus ihren Betten schauten. Nur ein stummes Nicken und hier und da ein dankbares Lächeln brachten sie noch zustande, als Yanna ihnen Mut zusprach. Zum Schluss trat sie an Dirty Bucks Krankenlager, bei dem Mara Lee gerade eine neue Infusionsflasche am Tropf befestigte. »Wie geht es ihm?«, fragte sie leise.
»Unverändert.« Die schwarzhäutige Krankenschwester drehte an der Kanüle und betrachtete aufmerksam den schlafenden Buck. »Sein Fieber haben wir im Griff, doch sein Gesamtzustand ist mehr als bedenklich und dem Ausschlag ist mit nichts beizukommen.« Müde strich sie sich über das Gesicht. »Anstatt einen Arzt aufzusuchen, ist er lieber – wer weiß, wie lange schon – mit den Beschwerden dieser rätselhaften Krankheit herumgelaufen. Männer!« Sie wandte sich zu Yanna um und setzte ein schiefes Lächeln auf. »Bloß keine Schwäche zeigen. Immer den Helden spielen. So sind sie, meine Kleine.« Mütterlich tätschelte sie den Arm der Rev’rend-Anhängerin. »Aber nur keine Sorge, wir kriegen deinen Freund schon wieder hin.«
»Er ist nicht mein Freund«, protestierte Yanna.
»Ach, nicht? Ich dachte, du gehörst auch zu den Kids.« Überrascht sah die Fünfzigjährige Yanna an.
»Schon… aber das ist lange her«, räumte die ehemalige Diebin kleinlaut ein. Fast ein wenig verlegen zupfte sie an Bucks Bettdecke herum. »Wolltest du nicht schlafen gehen?«
»Aber ja doch, nichts lieber als das. Danke, dass du dich hier um alles kümmern willst.« Unsicher ließ Mara Lee ihren Blick über die Betten schweifen. »Denke, es wird eine ruhige Nacht. Ich habe unseren neuen Patienten ein leichtes Schlafmittel verabreicht. Falls doch etwas sein sollte, weißt du ja, wo du mich finden kannst. Oder soll ich nachher…«
»Nun geh schon! Ich mach das ja nicht zum ersten Mal.« Yanna Hitking hakte sich bei der Krankenschwester unter und geleitete sie zum Ausgang. Doch auch auf dem Weg dorthin konnte Mara es nicht lassen, die Ersatzpflegerin mit Anweisungen zu überschütten: »… bei Lady Stock solltest du jede Stunde einmal nach dem Rechten sehen.« Sie deutete auf das Areal neben der Tür, in dem sich hinter einem Sichtschutz das Bett der Bürgermeisterfrau befand. »Ach ja, dieser Ronny Jeeps, der vorhin mit Marisar hier war, wollte auf seinem Weg zum Dienst noch einmal bei Buck vorbei schauen. Schick ihn wieder weg! Bis nicht klar ist, was den Kranken fehlt, kommt niemand mehr hier herein…«
Sie hatten schon fast die Tür erreicht, als plötzlich eine Gestalt hinter dem Wandschirm vor Lady Stocks Bett hervor glitt.
»Bürgermeister Stock, Sie haben mich zu Tode erschreckt!«, rief Mara Lee. Auch Yanna blieb fast das Herz stehen, als der große Mann so unerwartet auftauchte. Der Bürgermeister schien davon nicht viel mitzubekommen. Breitbeinig stand er vor den beiden Frauen und starrte sie an, als wären sie fremde Wesen. Er machte einen verwahrlosten Eindruck. Aus seinen roten Zöpfen hingen unzählige Haarnester und seine Kleidung starrte vor Dreck. Selbst seine goldenen Ohrringe hatten jeden Glanz verloren. Ein unangenehmer Geruch ging von ihm aus. Blass und aus schmalen Augen stierte er von Yanna zu Mara Lee. »Sagten Sie eben, Ronny Jeeps wäre hier gewesen?« Ein nervöses Zucken lag um seine Mundwinkel.
Die Krankenschwester blickte ihn argwöhnisch an. »Geht es Ihnen nicht gut, Mr. Stock?« Sie trat auf ihn zu und berührte seinen Arm.
»Beantworten Sie nur meine Frage!« Die Stimme des Bürgermeisters klang geradezu drohend. »War er hier, der neue Freund der Trashcan-Kids?«
Die Krankenschwester ließ ihn los. »Ja, aber wieso…«
Stock hörte ihr nicht länger zu. Mit einem grunzenden Geräusch kehrte er den Frauen den Rücken und stapfte aus dem Raum. Hinter der offenen Tür sahen sie ihn den Gang hinunter schwanken. Er bewegte sich, als hätte Mara Lee ihm gerade den Tod seiner Frau verkündet. Verwundert blickten die Frauen ihm nach.
***
Verfolgt von den giftgrünen Kreaturen, erreichten Matt und Aruula den Platz vor dem Capitol. Er war von dünnen Bäumen und Wildpflanzen überwuchert. Irgendwo dazwischen stand ein verlassener Nixon-Panzer. Gut hundert Meter dahinter führten verwitterte Stufen der großen Freitreppe hinauf zu den Toren des erhabenen Kuppelbaus. Doch die Gefährten hatten keine Chance, sie noch zu erreichen: Aus allen Ecken und
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