247 - Der Kerker der Pandora
Spalten gekrochen kamen und das Grauen über Nyaroby gebracht hatten.
Diesmal waren die Menschen vorbereitet. Kaum einer war ohne Fackel gekommen und alle waren entschlossen, den Wucherungen mit Feuer ein Ende zu bereiten. Doch die drei Frauen unter dem mächtigen Bongosibaum waren sich noch nicht einig darüber, wie genau sie vorgehen wollten. Während die Jägerin Barah vorschlug, die gesamte Siedlung zu evakuieren, wollte Carah, die Stadthalterin, die Pilzfelder – wie einstmals – abfackeln. Jetzt lag die Entscheidung bei Arah, der jungen Priesterin, deren Name einst Senja gelautet hatte.
Sie kniete vor einem ausgebreiteten weißen Tuch und strich mit ihren Fingern über Steine, Fischaugen und Federn, die sie zuvor auf die Unterlage geworfen hatte. Ihr Umhang aus lachsroten Flamingofedern raschelte, als sich die Priesterin aufrichtete. »Eine Flamme!«, rief sie mit heller Stimme. »Eine Flamme soll uns von dem Fluch der Pilzfelder erlösen!«
Daraufhin trat Carah aus dem Schatten des Baumes. Die silberne Spange ihres schilfgrünen Umhangs blitzte im Licht der Mittagssonne. »So sei es! Die Göttin hat in ihrer Weisheit den Ratschluss gefällt!«
Das Volk brach in Jubelrufe aus. Abseits trompeteten die Woorms. Kleine Feuertöpfe mit lohenden Flammen wurden verteilt. Angeführt von den drei Frauen brachen die Menschen in verschiedene Richtungen auf, um die bedrohlichen Felder zu vernichten. Jede Gruppe führte einen Maelwoorm mit sich. Mit ihren Stummelflossen und den messerscharfen Kauwerkzeugen sollten die Tiere tief in die Spalten und Erdbrüche vordringen. Keine der Wucherungen durfte übersehen werden.
Barah, die sich nur widerwillig dem Urteil der Göttin beugte, machte sich mit Spenza und einem Dutzend Männer und Frauen zu den Uferwäldern auf, in denen am Tag zuvor die Sammler verschwunden waren. Dicht an ihren Geliebten gedrängt, ritt sie auf dem Woorm der Unglücksstelle entgegen. Während der schlangenförmige Körper des Tieres durch den Uferschlamm pflügte, spürte die Jägerin tief in sich eine große Unruhe. Sie hatte am vergangenen Tag feine Risslinien in Oberflächen und Asphalt der Hauptwege von Nyaroby entdeckt. Zwar zeigten sich darin noch keine Wucherungen, dennoch ahnte sie Schreckliches.
Sie dachte an die unterirdischen Gänge, von denen die einstige Priesterin Arah ihr erzählt hatte. Angeblich verliefen sie labyrinthartig unterhalb der Siedlung und verbanden das Dschungelgebiet im Hinterland mit den Ufern des Athis. Von einem verschütteten Tempel und der Verbindung zwischen Wasser und Erde hatte die alte Arah damals gesprochen. Der Versuch, dieses Geheimnis zu lüften, hatte sie das Leben gekostet. Wenn ihre Vermutungen stimmten, dann waren die Menschen in Nyaroby in höchster Gefahr: Nicht auszudenken, was geschehen würde, wenn die wuchernden Pilze die Stollen und Tunnel zum Einstürzen brächten.
Doch von all dem wollte Carah, die älteste der drei Stadtführerinnen, nichts hören. Nachdem sie sich vergewissert hatte, dass keine Sporen in den Asphaltrissen lauerten, tat sie die Brüche als Spuren des letzten Erdbebens ab. Auch die neue Priesterin tat so, als gäbe es kein unterirdisches Labyrinth.
Bei dem Gedanken daran gesellte sich Wut zu der inneren Unruhe der Jägerin. Sie mutmaßte, dass die beiden anderen Frauen ihres Dreierbundes nur deshalb nicht auf sie hören wollten, weil Barah mit Spenza zusammen war: Vor ihr hatte Carah den Woormreiter zum Gefährten gehabt. Zwar wurde nie ein Wort darüber verloren, doch weder die Priesterin, noch die Stadthalterin machten einen Hehl aus ihrem Unwillen, was die Männerwahl Barahs betraf.
Es wäre tragisch, wenn diese Uneinigkeit zwischen uns den Tod vieler Menschen herbeiführen würde, dachte die Jägerin, als sie mit den anderen von dem schuppigen Woormrücken sprang. Sie hatten die Erdspalte im Uferwald erreicht. Innerhalb kurzer Zeit flammte das Pech an den Fackelenden auf. Zischend und knisternd fraß sich das Feuer in die grauen Flechten der Pilzwucherungen und zügig an den Wänden hinab. Riesige Flammenzungen zuckten empor, als es den Grund der Erdspalte erreichte. Die Umstehenden wichen erschrocken zurück. Nach einer Weile fielen die Flammen wieder in sich zusammen. Schließlich stieg nur noch schwarzer Rauch aus der Öffnung… und es roch nach verbranntem Fleisch.
***
Thgáan sonnte sich auf einer der Sandbänke des Athis. Vor sich hin dösend beobachtete er das aufflackernde Feuer oberhalb der Uferböschung.
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