248 - Entfesselte Gewalten
Maddrax.
»Wie willst du das anstellen?« Aruula schloss die Augen. Sie spürte, wie seine Brust sich hob und senkte. Sie hörte sein Herz schlagen. Die Vorstellung überfiel sie, dieses geliebte Herz könnte eines Tages zu schlagen aufhören. Sie zog die Schultern hoch und fröstelte.
»Ich weiß es noch nicht«, sagte Maddrax. »Doch mach dir keine Sorgen, Aruula – wir werden einen Weg finden.« Er küsste ihren Scheitel. »Ich bin ganz sicher.« Er strich ihr das nasse Haar hinter das Ohr und küsste ihr Ohrläppchen.
»Was ist geschehen dort draußen auf dem See?«, flüsterte sie. »Ich habe den Raubfisch gesehen.«
»Ja«, flüsterte er. »Ich habe dem Tod ins Auge geschaut und das Leben darin erkannt. Es ist so wertvoll, es ist so unwiederbringlich – ich will mich mit Daa'tan versöhnen…«
»Das ist gut, das ist sehr gut…« Sie hob den Kopf und blickte in seine Augen. Bei Wudan, welch schöne Augen! Sie drückte ihr Becken an seine Lenden, ihre Lippen suchten seinen Mund. Bald tanzten ihre Zungen umeinander, und irgendwann sanken sie eng umschlungen in den Sand…
***
Wimereux-à-l'Hauteur
Die Erschütterung der Stadt hatte Pilatre de Rozier zu Boden geworfen. Für ein paar Augenblicke hatte er das Bewusstsein verloren. Nun richtete er sich wieder auf, schüttelte sich und sah den Mammutrochen an der Stadt vorbei erneut in den Himmel steigen. Eine Sturmböe aufgewühlter Luft fegte über die nächtliche Wolkenstadt. »Mondieu!« De Rozier stöhnte und schluckte. »Es will zum zweiten Mal angreifen!« Der Kaiser sprang auf und ruderte mit den Armen. »Das Ungeheuer kommt zurück!« Er brüllte es in alle Himmelsrichtungen. »Bringt die Kanonen in Stellung!«
Kaum jemand um ihn herum schien zu reagieren. De Rozier blinzelte in die Runde, seine Augen gewöhnten sich schnell an die Dunkelheit. In der Aufzugsstation schlugen sie mit Säbeln und Knüppeln nach den Pilzwucherungen. Wenn sie doch wenigstens Feuer hätten benutzen können – aber offene Flammen waren bei dem gasgefüllten Trägerballon unter ihnen viel zu gefährlich; gefährlicher noch als der Pilz. Noch immer stand de Rozier der schreckliche Anblick der abstürzenden Soldatenstadt Brest-à-l'Hauteur vor Augen.
Die Männer vor dem Tor zur Station hielten jetzt inne und blickten zu den Sternen hinauf. Auch de Rozier legte den Kopf wieder in den Nacken. Was er sah, ließ ihm das Blut in den Lungen gefrieren: Ein schwarzer Fleck verdunkelte die untere Hälfte der Mondsichel. Der Fleck wurde rasch größer, stürzte der Wolkenstadt entgegen. Er sah seine schlimmsten Befürchtungen bestätigt.
»Attention…!« De Rozier warf sich flach auf den Boden, hob den Kopf, spähte nach dem angreifenden Riesenrochen.
Eine heftige Orkanböe riss den kämpfenden Männern bei der Aufzugsstation die Perücken von den Köpfen und zerrte an ihren Rockschößen. Die zusammengepresste Luft, die das Riesentier vor sich her schob, prallte auf den Trägerballon und fegte als Sturmwind über die Wolkenstadt. Und dann war das Ungeheuer zurück.
Der Luftdruck presste die schon leicht schräg stehende Wolkenstadt ein paar Meter nach unten. Als der Riesenrochen seinen Sturzflug knapp über ihr abfing und plötzlich flach über sie hinweg raste, drehte sie sich einmal ruckartig um ihre Längsachse und schaukelte bedrohlich. Männer und Frauen schrien, auf den Ankerplätzen rissen sich Rozieren los, Dächer wurden abgedeckt und Trümmerteile zerstörter Ballons prasselten samt Waffen, Hausrat und Holzsplitter auf die am Boden liegenden Menschen herab.
De Rozier fand sich auf einmal unter zwei Soldaten liegend zwischen einer Hausfassade und einer Gaslaterne wieder. Gasgeruch wehte ihm ins Gesicht; vermutlich waren etliche Leitungen zerbrochen. Wenn es nun irgendwo einen Funken gab…
Ein weiterer Schrecken durchzuckte ihn, als er bemerkte, dass der Trägerballon noch schräger in der Luft hing als nach dem ersten Angriff.
Ächzend schob er die stöhnenden Männer beiseite. Über der Stadt sah er die Silhouette des Riesenrochens in den Nachthimmel steigen – sie entfernte sich rasch. »Mon dieu… Er wird doch nicht ein drittes Mal…?«
Schritte und Stimmengewirr näherten sich. »Wer hat den Kaiser gesehen?«, rief eine Männerstimme. »Wo ist Ihre Exzellenz…?« De Rozier sprang auf.
Ein Artillerieoffizier und zwei seiner Kanoniere liefen auf ihn zu, blieben stehen und nahmen Haltung an. »Zwei Geschützstellungen sind verloren«, krächzte der
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