2487 - Die String Legaten
in einiger Entfernung zog seine Aufmerksamkeit auf sich. An einer Maschine kreiste ein Schwungarm und tauchte in regelmäßigen Abständen in ein blau flirrendes energetisches Feld; jedes Mal zuckte ein winziger Überschlagblitz.
Savoire ignorierte es zunächst, doch seitlich neben dem Metallarm entdeckte er einen Rechnerzugang.
Schwer atmend blieb er direkt davor stehen. Sollte er durch sein Vorgehen Alarm auslösen, bedeutete dies sein sicheres Todesurteil. Er berührte die ersten Sensoren des Eingabedisplays. Sein kybernetisches Fachwissen erleichterte ihm, in ungesicherte Rechner der Kolonne ein-zudringen und sie zu manipulieren. Er tat es nicht zum ersten Mal. Die Fremdartigkeit der Bediensysteme durchschaute er intuitiv und aufgrund seiner zahllosen Erfahrungswerte.
Es gelang ihm, sich ins dezentrale Datennetz einzuhacken; zumindest löste er keinen hörbaren Alarm aus. Ob sich in diesem Moment in Kalbaron Unkaruchs Sicherheitsbüro Truppen auf den Weg machten, wusste er allerdings nicht.
Der Erste Kybernetiker kannte eine Vielzahl der Manipulationen, die ESCHER und der Weltweise in GLOIN TRAITORS Rechnerverbund vorgenommen hatten. Schnell fand er Zugang zu einem Rechner, der von der Parapositronik schon seit Langem im Verborgenen kontrolliert wurde.
Dies war seine Chance!
Er schickte eine Botschaft ab, von der er hoffte, dass niemand außer ESCHER sie empfangen würde.
»Hoffnung«, wisperte er. Das war alles, was ihm geblieben war.
Die Botschaft enthielt den genauen Standort des Ausgangsrechners und die Nachricht, dass Datensatz 96 verloren war.
Das hieß, ESCHER musste auf zweierlei Weise handeln.
Zum einen würde die Parapositronik den Angriff ohne die letzten Daten vorbereiten. Zum anderen würde sie etwas unternehmen, um Savoire zu retten. Auch wenn er keinen Nutzen mehr brachte, schuldete ihm ESCHER dies.
Denn es stand noch etwas aus. Am Ende, so war es von jeher vereinbart, durfte Laurence Savoire in die Hyperdim-Matrix zurückkehren und endlich zu einem vollwertigen Prozessor werden. Und sei es nur für kurze Zeit, bis die Truppen des Chaos den Hangar des Weltweisen stürmten und allem ein Ende bereiteten.
Oder würde es doch anders kommen? Zum ersten Mal hegte der Erste Kybernetiker diese Hoffnung. Schließlich war es ihm sogar gelungen, den Sprung in den Quintadimtrafer zu überleben. Gewiss, nur mit Isokrains Hilfe - aber sprachen die T-Prognostiker nicht immer vom menschlichen Faktor, der die Zukunft nie zu hundert Prozent berechenbar machte?
Was, wenn er und ESCHER doch überlebten?
Wenn der Weltweise die String-Legaten täuschen konnte, wie es Isokrain und ihm ebenfalls gelungen war?
Hatten die letzten Stunden nicht gezeigt, dass dies durchaus im Bereich des Möglichen lag, wenn auch nur unter großen Opfern und auf unkonventionelle Weise?
»Warte bloß ab, Zyklop«, flüsterte er. Schon lange hatte er nicht mehr an den Spottnamen gedacht, den ihm zuerst Rodin Kowa auf Terra in der Thora Road verliehen und den er so gehasst hatte.
Bei der Erinnerung musste er lächeln, obwohl seine Hände vor Angst zitterten.
*
Eine Stunde verstrich, bis Savoire ein Geräusch hörte. Er saß auf dem Boden, lehnte mit dem Rücken gegen das Rechnergehäuse. Gedankenversunken verfolgte er den Kreisweg des Metallarms, bestaunte immer wieder das kurzlebige, grell leuchtende Muster der Überschlagblitze und lauschte dem rhythmischen Knallen der energetischen Entladungen.
Doch nun vernahm er etwas anderes.
Ein Koffter-Gleiter näherte sich. Das konnte zweierlei bedeuten: Entweder stand dieses Gefährt unter ESCHERS Kontrolle, oder seine Feinde hatten ihn entdeckt. Im zweiten Fall wäre aber wohl eine ganze Streitmacht aufgetaucht, ganz zu schweigen von den String-Legaten. Oder nicht?
Laurence Savoire atmete tief ein und stand auf. Der Koffter stoppte wenige Meter vor ihm. Eine Einstiegsluke klappte auf.
Niemand kam heraus.
Niemand feuerte auf ihn.
Niemand stürmte heran, packte ihn oder nahm ihn gefangen.
Ohne Bedenken nahm der Kybernetiker die Einladung an und stieg in den Gleiter. Die Luke schloss sich automatisch hinter ihm, und der Koffter setzte sich in Bewegung. Savoire konnte nur hoffen, dass ESCHER eine korrekte Programmierung gelungen war und der Koffter ihn bis zum Kolonnen-Fort TRAI-COON 06-202a und dort in den Hangar des Weltweisen bringen würde.
Die Reise dauerte Savoires Empfinden nach eine Ewigkeit. Eine schnelle Inspektion ergab, dass sich niemand in dem Koffter befand.
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