2490 - Die dunklen Gärten
nicht gebären. Und hier«, sie schaute sich demonstrativ um, »sind keine geeigneten Medotech-Geräte vorhanden, um eine pränatale Entnahme vorzunehmen.«
»Doch«, sagte Tvell und hielt plötzlich einen Dolch in der Hand.
Ich werde ihm entgleiten, dachte Wiia-Na-Daj. Aber zugleich kam ihr ein anderer Gedanke: Du musst mich freikaufen, Mutter.
Sie versuchte zu entgleiten. Es gelang ihr nicht. Tvell drückte die Spitze des Dolches an ihren Leib. »Was ist es dir wert?«
»Das Kind?«
»Das Kind.«
Sie lachte. »Du willst es verkaufen?«
»Was ist es dir wert?« Der Dolch begann über ihren Leib zu wandern. Schnitt in das Tuch ihres Kleides. Entblößte ihre Brust. Fuhr hoch zur Kehle. Sie beugte den Kopf nach hinten. Die Schneide erreichte ihren Mund, fuhr in den Winkel, die Nasenwurzel entlang, hing vor ihrem Auge in der Schwebe. »So viel?«
Ja, hörte sie etwas in sich denken. »Ja«, sagte sie.
Tvell überlegte. Er warf den Dolch hoch, dass er sich in der Luft überschlug, und fing ihn so auf, dass er Wiia-Na-Daj das Heft hinhielt. »Gut«, sagte er. »Aber du musst es selbst tun.«
Nein!, dachte Wiia-Na-Daj und sagte: »Ja.«
Sie nahm den Dolch und stach sich das Auge aus.
*
Sie verließ die Höhle, blind vor Schmerz. Ihr Blut rann die Wange hinab und rauchte in der Kälte. Sie glitt hinüber. Die Schmerzen erloschen. Sie folgte der winzigen, zusammengekrümmten Gestalt in ihrem Geist, die ihr den Weg wies.
Das hast du gut gemacht, Mutter.
Irgendwo in Jaorry verstofflichte sie sich und brach auf offener Straße zusammen. Wenige Minuten später wurde ein Patrouillenroboter auf sie aufmerksam und brachte sie in eine automatische Medostation.
Der Roboter versorgte die Wunde und fragte: »Kann ich etwas für dich tun?«
»Ja. Kontaktiere die ANVU-3 und ihren Kapitän Trou-Hasg-Borou. Das Schiff liegt auf Shuvov. Sag ihm, er möchte mich abholen.«
Aus der Ferne hörte sie das Johlen und Schreien einer Gruppe Juusnu-Süchtiger.
»Du verlässt Khyasou? Warum?«
Sie schloss das Auge und dachte: Was für eine absurde Frage. »Ja«, sagte sie. »Ich schließe mich der Vibra-Staffel an.«
»Bravo«, sagte der Roboter.
Die ANVU-3 war das letzte Schiff, das Khyasou verließ. »Sieh es dir an«, sagte Trou, als er einen hinreichenden Abstand zwischen das Schiff und das Sonnensystem gebracht hatte.
Wiia-Na-Daj betrachtete das Holo. Khyasous Licht hatte sich in ein fadenförmiges Etwas verwandelt, dessen tropfenförmiges Ende eine vage Ähnlichkeit mit einem Stern bewahrte, dessen anderes Ende aber in geschwungenen Spiralen verlief, dünn und immer dünner wurde, endlich unsichtbar.
»Wie weit hat uns die Linearetappe gebracht?«, fragte Wiia-Na-Daj.
»Ich habe ein halbes Lichtjahr programmiert«, sagte Trou. »Jetzt zeigt die Fernortung, dass wir dem Ophem-Sys-tem um maximal fünf Lichtmonate näher gekommen sind. Das Schiff hat Schwierigkeiten, sich in diesem Raum zu orientieren.«
»Wo? Im Sektor um Khyasous Licht?«
»In Hangay«, sagte Trou leise.
Sie schloss die Augen und lauschte nach innen.
Das Vibra-Psi war stärker geworden. Für einen Moment hatte sie das Gefühl, unter Wasser gedrückt zu werden. Dann gewöhnte Wiia-Na-Daj sich daran. Sie spürte, wie sich das Kind in ihrem Leib wohlig rekelte.
Sie lächelte.
»Ich werde dich führen«, sagte sie.
*
Nach einigen Wochen erhielt die AN-VU-3 eine Verbindung zur HEN-KWA.
Der Trimaran unterstand Vyn-Pao-Paz, einer Adjutantin von Log-Aer-M'in. Er hatte den Notruf der ANVU-3 aufgefangen, das Schiff geortet und aufgespürt.
Wiia-Na-Daj erklärte ihre Bereitschaft, der Vibra-Staffel beizutreten.
Sie begegneten einander im Hangar, unmittelbar nach der Einschleusung der
ANVU-3. Das kleine Schiff war kaum noch manövrierfähig; die HEN-KWA hatte es mittels Traktorstrahlen an Bord gezogen.
»Du bist verletzt«, sagte die Adjutantin, nachdem sie Wiia-Na-Daj begrüßt und einen schmalen Infofolienstreifen gelesen hatte. Der handtellergroße Medo-Roboter, der den raschen Bioscan durchgeführt und die Folie ausgedruckt hatte, schwirrte auf Abstand.
»Verletzt, aber nichts Lebensbedrohliches. Wir kümmern uns darum.« Sie schaute Wiia demonstrativ über die Schultern und betrachtete die ANVU-3. »Dein Schiff ist ein Wrack. Ein Wunder, dass ihr es damit noch von Khyasou fort geschafft habt.«
»Es war nicht leicht«, sagte Wiia-Na-Daj erschöpft.
»Was ist geschehen?«
»Alles ging schief«, sagte Wiia-Na-Daj leise. »Trou nahm an,
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