2493 - Der Weltweise - Leo Lukas
verwunderlich. Aber auch aus den manchmal widersprüchlichen Meldungen, die im Kolonnen-Funk kursierten, wurde er nicht schlau.
Fast hatte er den Eindruck, als stecke die Terminale Kolonne in Schwierigkeiten. Wovon KOLTOROC, der Progress-Wahrer, die Herolde und Dualen Kapitäne mit Rücksicht auf die Moral der Truppen nichts an die niederen Ränge durchsickern ließen.
Auch die Nadel des Chaos wurde mit keinem Sterbenswörtchen erwähnt. Dafür gab es nur eine Erklärung, und diese missfiel Avorru sehr: Der Feind, der bekanntlich den Funkverkehr mithörte und weitgehend dekodieren konnte, sollte die aktuelle Position der Nadel nicht herausbekommen.
Bei Xrayn! Wie weit war es mit der Kolonne gekommen, dass GLOIN TRAITOR sich verstecken musste?
Wenn seine Theorie stimmte - und davon ging er aus -, durfte Avorru auf keinen Fall via Relaiskette, zu der seine Station gehörte, beim Oberkommando nachfragen, was die Nadel des Chaos über Anun-Faeris verloren hatte. Damit hätte er ja deren Standort verraten. Er war also dazu verdammt, weiter im Dunkeln zu tappen.
Unangenehm. Extrem unangenehm. Nur keinen Fehler begehen!
Er steckte in der Zwickmühle. Zum einen war sein kleiner, abgelegener Stützpunkt strategisch viel zu unmaßgeblich, als dass die Lenker des
Hangay-Feldzugs ihn darüber aufklären würden, was Sache war. Zum anderen hatte alles, was Avorru tat oder unterließ, durch die bloße Anwesenheit GLOIN TRAITORS immens an Brisanz gewonnen.
Mit einem Mal stand er im Scheinwerferlicht und damit automatisch auch im Fokus jedweder späterer Untersuchungskommissionen. Bis jetzt hatte er sich keine gröberen Ausrutscher geleistet. Dass man sich auf einem solchen Posten nach Herzenslust privat bereicherte und auch gelegentlich sein Mütchen an der endogenen Bevölkerung kühlte, war allgemeine Praxis und wurde toleriert.
Viel mehr musste er aufpassen, dass ihm nicht dieser Tage ein Schnitzer unterlief. Er konnte sich zwar kaum vorstellen, dass seiner kümmerlichen Station irgendeine ausschlaggebende Rolle bei der Genese der Negasphäre Hangay zufallen würde. Aber sicher war sicher.
Darum hatte er der Mannschaft die beliebten Plündertouren bis auf Weiteres untersagt und sämtliche Soldaten sowie Gleiter am Stützpunkt konzentriert. Obwohl es exakt null Vorzeichen für einen etwaigen Angriff gab, wollte er sich nichts vorzuwerfen haben.
Allerdings würde er spätestens in drei weiteren Tagen die Alarmstufe wieder um einen Grad reduzieren müssen. Permanente Doppelschichten konnte er seinen Leuten nicht zumuten.
Er hatte sie ganz gut in Schuss gehalten; aber Schlafmangel ließ sich nicht ewig durch Absetzung des aggressionshemmenden Präparats Elamgkonyl kompensieren, das alle Mor'Daer regelmäßig einnahmen. Irgendwann ging das zu Lasten von Disziplin und Konzentration.
Umgekehrt war er personell nicht gerade überbesetzt ... Noch so eine verflixte Zwickmühle, aus der es kein Entrinnen gab!
Seiner Brust entrang sich ein tiefer Seufzer. Es war noch gar nicht so lange her, da hätte der aufstrebende, ehrgeizige Kalmor Avorru fast alles dafür geopfert, wenigstens in die Nähe einer Dienstburg oder gar eines Objekts wie GLOIN TRAITOR versetzt zu werden.
Nun ersehnte er nichts mehr, als dass die Nadel des Chaos so schnell wie möglich wieder aus seinem Aufsichtsgebiet verschwinden möge.
*
Sybel Bytter war froh, als Übersetzerin eine Pause einlegen zu können, weil die Ckornauten die Aussagen des Weltweisen unmittelbar erfassten.
Freilich bekam sie dadurch Gelegenheit, sich der Trauer um Wilbuntir hinzugeben. Wie schön wäre es gewesen, mit ihm im Mentalverbund einer vergeistigten Wesenheit auf unabsehbare Zeit vereint zu sein! Träumte nicht jedes liebende Paar von derartiger Erfüllung?
Sie tadelte sich als sentimental und zwang sich, ihre volle Aufmerksamkeit den Enthüllungen des Weltweisen zu widmen. Noch war keineswegs gesichert, dass das Kollektiv je wieder zusammenfinden würde.
Denn hoch am Himmel stand drohend, nicht zu übersehen, die dunkle, lang gestreckte Silhouette, derentwegen sie auf diesen Planeten verschlagen worden und körperlich wiedererstanden waren. GLOIN TRAITOR,
teilte der Weltweise ihnen allen mit, war für seine Sinne offenkundig lädiert und verbarg sich an diesem Ort gegen Entdeckung.
»Ist die Nadel des Chaos manövrierfähig?«, warf der ehemalige Erste Kybernetiker ein.
Ohne genaue Prüfung, zu der ihm momentan die Mittel fehlten, könne er Savoires Frage nicht
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