25 - Ardistan und Dschinnistan II
was für Wasser er enthielt. Und dieser Schreck hatte sich zum Entsetzen gesteigert, als sie sich sagen mußten, daß dieses Seewasser sich aus dem oberen, ausgetrockneten Fluß in den unteren Fluß ergießen und auch dessen Wasser, von dem sie Rettung erwarteten, ungenießbar machen werde. Und dennoch drängten sie mit aller Gewalt nach vorwärts. Das Flußbett war noch nicht so weit gefüllt, daß das Seewasser Abfluß fand. Man sah, daß es stand. Es hatte sich noch nicht in die trinkbare Flut des Unterlaufs ergossen. Also vorwärts, weiter, weiter!
Nun folgte die Bagage, Kamelreiter mit leeren Schläuchen und abgetriebenen Tieren, ermüdete Reiter zu Fuß, die ihre Pferde am Zügel hinter sich herzogen, weil die armen Geschöpfe vor Durst und Hunger nicht mehr imstande waren, ihre Herren zu tragen. Und da, da krachten von unten herauf, von dem Felsenloch her, einige Schüsse. Draußen in der Wüste hätte der Orkan ihren Schall verschlungen; hier aber, wo seine Kraft von den Felsen gebrochen wurde, hörte man sie. Sie waren das verabredete Zeichen für uns, daß die Tschoban das Felsenloch erreicht hatten, aber nicht weiterkonnten, weil von unsern Hukara der Holzstoß angezündet worden war. Es erhob sich da unten ein Geschrei, weiches sehr schnell von Mann zu Mann bis zu uns heraufgetragen wurde. Das Vorwärtsdrängen kam ins Stocken. Man blieb stehen. Von oben herab, also vom Felsentor her, kamen nur noch einige einzelne Tschoban, bis auch der letzte in der Falle war. Da krachten auch von dorther einige Schüsse. Jetzt sprang der Scheik auf und schrie in den Lärm hinein:
„Schweigt, schweigt! Was ist geschehen? Warum reitet ihr nicht weiter?“
Das Getöse war so groß, daß man seine Worte nicht hörte. Doch sah man, daß er fragte, und jedermann antwortete ihm. Es entstand dadurch noch ein viel schlimmerer Tumult, aus dem nur wenige deutliche Worte wie „Ussul! Gefangen! Wasser! Feuer!“ herauszuhören waren. Der Scheik wiederholte seine Frage, aber mit genau demselben Mißerfolg. Da stand Merhameh auf, von niemand veranlaßt und nur ihrer inneren Eingebung folgend. Sie ergriff einen unserer Wasserschläuche, stieg mit ihm bis zur Platte hinab, legte ihn dort hin, trat ganz bis an den Rand der Platte vor und gab mit erhobenem Arm den Befehl, zu schweigen. Ich sage absichtlich, daß sie nicht das Zeichen, sondern den Befehl zum Schweigen gegeben habe. Wie sie so niederstieg, wie sie so dastand, mit erhobenem Arm und königlicher Haltung, das ist nicht zu beschreiben. Der Scheik war der erste, der sie sah. Er machte eine Bewegung der Überraschung, trat um einige Schritte zurück, um sie zu betrachten, deutete auf sie und gebot Ruhe. Auch diese seine Worte verhallten in dem allgemeinen Spektakel, aber man folgte mit den Augen seinem Wink, und jedermann, der Merhameh stehen sah, wurde still. Ihr Anblick besaß jene Macht, die nur dem begreiflich ist, der die unwiderstehliche Gewalt eines seelisch reinen Wesens an sich selbst erfahren hat. Jeder Blick war auf Merhameh gerichtet, und man hörte trotz des Sturmes deutlich, was sie mit heller, klarer Stimme dem Scheik zurief:
„Wirf mir deinen Schlauch herauf! Ich will dir Wasser geben für dein armes Pferd!“
Sein Pferd war das müdeste und durstigste von allen. Er hatte es abgehetzt, um seine Schar im Sturm zusammenzuhalten, wie ein Schäferhund unausgesetzt die Herde umkreist, damit kein Schaf verlorengehe.
„Wasser? Für mein Pferd?“ fragte er zu ihr hinauf. „Ja, gib! Allah segne dich für deine Barmherzigkeit! Sag, wer du bist!“
„Ich bin Merhameh“, antwortete sie einfach.
„Merhameh? Also die, von der ich rede, die Allah segnen soll, die Barmherzigkeit?“
Er nahm den Schlauch vom Sattel und warf ihn ihr zu. Sie füllte ihn aus dem unseren und reichte ihn, indem sie niederkniete, so weit hinab, daß er ihn auffangen konnte. Er trat sofort zu seinem Pferd, um es zu tränken. Während er dies tat, schaute Merhameh froh lächelnd zu ihm nieder. Und die Menge der Tschoban hielt Mann an Mann da unten auf dem Weg und schaute zu ihr hinauf. Es war doch eigentlich gar nichts sonderliches, was da geschah! Ein Mädchen gab einem Reiter Wasser für sein durstiges Pferd. Ähnliches hatte man schon tausendmal gesehen. Wie kam es, daß der Anblick grad dieses Mädchens so unbedingt beruhigend wirkte und das vorherige Gezeter in plötzliches, tiefes Schweigen verwandelte?
Jetzt war der Schlauch leer. Der Scheik richtete sich aus seiner gebückten
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