2500 Kilometer zu Fuß durch Europa
sie
mehrere aus heutiger Sicht fortschrittlich wirkende Prinzipien um:
Beispielsweise durften Frauen in Religionsdingen genauso tätig sein wie Männer.
Im 14. Jahrhundert wurden die Katharer nach jahrelangem Widerstand von der
katholischen Kirche, die um ihre Monopolstellung in Glaubensfragen bangte, als
‘ Kattas ’, Ketzer, verfolgt und im Zuge der
Inquisition vollständig ausgerottet. Alles Schriftgut wurde vernichtet, und
heute sind nur noch einige Burgen in Südfrankreich als Zeugnis jener Kultur
übrig geblieben. Trotzige, eigenwillige Bauwerke, die kühn in die Felsen
gehauen sind.
Der Weg nach Miradoux
Im Kloster le carmel von Moissac werden wir mit einem Abendessen
empfangen, das für alle anwesenden Pilger an einer langen Tafel serviert wird.
Während des Essens sagt man uns mehrmals, dass man den Eindruck hat, als würden
wir vier uns schon seit Jahren kennen, und viele sind überrascht, dass unsere
Konstellation gerade zwei Tage alt ist. Zusammen durchstreifen wir das Kloster
von Moissac , das von der UNESCO als Weltkulturerbe
klassifiziert wurde und auf 116 Säulen über 30 Szenen aus der Bibel darstellt,
darunter das jeweilige Martyrium der zwölf Apostel Jesu. Es ist das einzige
Kloster aus dem 11. Jahrhundert, das bis heute in seiner Gesamtheit erhalten
geblieben ist.
Auf dem Weg von Moissac nach Miradoux verstärkt sich unser
Gemeinschaftsgefühl noch. Pierre, der Musiklehrer, bringt uns einfache Kanons
bei. Rhythmisch klatschend und unrhythmisch singend geben wir unsere neu
erlernte Kunst anderen Jakobswegwanderern zum Besten. In Miradoux angekommen teilt Pierre uns allerdings mit, dass er vorerst allein weiterziehen
möchte. Ich verstehe ihn: Manchmal erlebt man die Schönheit so intensiv, das
Glück so geballt, dass man Gefahr läuft, aus der Bahn seines bisherigen Lebens
geworfen zu werden, weggespült von den Emotionen eines Augenblicks.
Auf dem Jakobsweg sind die Gespräche mit
anderen Menschen Zugleich leicht und intensiv. Keiner kommt hier unverändert
heraus, und am Ende trennt man die Personen, die einem etwas Zu geben vermögen,
schärfer von denen, die nur um sich selbst kreisen, von jenen also, die uns
kennen, weil wir ihnen nutzen.
Bei Thérèse
Thérèse, die Herbergsmutter von Miradoux , ist ein Phänomen des Jakobswegs. Jeden Abend ist
ihr Haus voll mit Wanderern, ohne dass sie dazu irgendeine Art von Werbung
verbreitet. Stattdessen kann sie sich auf das ,Pilgertelefon’ verlassen, auf
die Mund-zu-Mund-Propaganda der Pilger, und so erfährt man bereits zwei, drei
Tage, bevor man in Miradoux ankommt, dass die Abende
bei Thérèse lang, fröhlich und feucht sind, und dass man dort zusammen mit
einem reichhaltigen Abendessen auch die alten Legenden des Jakobswegs und die
aktuellen Neuigkeiten anderer Pilger serviert bekommt. Zu zehnt machen wir uns
heute Abend über sechs Flaschen Floc de
Gascogne her, ein Teufelszeug, das einem sofort die Zunge löst. Ihr werdet’s erleben, wenn ihr mal bei Thérèse seid, und sagt
bloß nicht, ich hätte euch nicht gewarnt. Unser kollektiver Absturz bahnte sich
etwa folgendermaßen an:
„Noch
ein Gläschen, mein deutscher Freund? Also, weißt du, diesen amerikanischen
Außenminister, wie heißt er doch gleich, kann ich gar nicht leiden. Obwohl
unser Flerr Präsident auch nicht viel besser ist,
wirklich auch nicht viel besser, diese Politiker aus Paris.“
„Kommst
du eigentlich aus Südfrankreich?“
„Ja,
aus der Nähe von Toulouse. Woher weißt du das?“
„Ich
hatte so eine Ahnung...“
„...
und dann bin ich den Weg von Pamplona aus nach Santiago gegangen, in
dreieinhalb Wochen, ja, mein Herr, und unterwegs habe ich doch tatsächlich
Jacques getroffen, ihr wisst schon, diesen Alten, der mit seinen beiden
Maultieren umherzieht...“ „Waren das vorhin nicht noch drei Esel?“
„Esel,
genau — und wenn schon! Jedenfalls habe ich Einiges erlebt damals, als ich von
Pamplona aus losgezogen bin, in drei Wochen, sag’ ich euch „Ja, das wissen wir
schon, Georges. Sag’ mal, Thomas, wie kommt es eigentlich, dass du unsere
Sprache so gut sprichst?“
„Ich
hab’ mal ‘ne Zeit lang in Paris gelebt, Therèse , da
ist man gezwungen, gut Französisch zu sprechen, weil niemand Englisch oder
Deutsch sprechen will.“
„Na
ja, wir sind manchmal etwas eigensinnig, was unsere Sprache betrifft. Wenn ich
es mir recht überlege, sind wir in vielen Dingen etwas eigensinnig.“
„Ich
kann sogar
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